Infotext Vorratsdatenspeicherung: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 11. April 2007, 13:09 Uhr

Am 15. 12. 2005 hat das Europäische Parlament der von EU-Kommission und -Rat beschlossenen sogenannten Vorratsdatenspeicherung zugestimmt, am 16.02.2006 hat der Bundestag ebenfalls zugestimmt, zur Zeit kursiert ein Referentenentwurf für das Umsetzungsgesetz in Deutschland.

In den Medien erscheint dieses Thema, wenn überhaupt, meist in den Rubriken “Computer” oder “Internet”, und es wird eher wenig darauf eingegangen, was wohl auch daran liegt, dass der Begriff recht abstrakt klingt. Dabei sind die Auswirkungen enorm, denn was die EU an diesem Tag verabschiedet hat, ist nicht weniger, als die komplette, sekundengenaue Speicherung der Telekommunikationsverbindungsdaten eines jeden Bürgers.

Ziele der Vorratsdatenspeicherung

Durch die Vorratsdatenspeicherung (kurz “VDS”) erhofft sich die EU eine Verbesserung der Bekämpfung von Terrorismus und schweren Straftaten, kurz: eine erleichterte Strafverfolgung. Telekommunikationsunternehmen (also auch Mobilfunk- und Internetprovider) werden damit verpflichtet, die sogenannten “Verkehrsdaten” ihrer Kunden aufzuzeichnen und für eine bestimmte Zeit aufzubewahren. Im Falle einer schweren Straftat haben Polizei und Geheimdienste Zugriff auf diese Daten. Die Umstände für die Speicherung und Auswertung der Daten ist EU-weit dabei nur teilweise “harmonisiert”. Beispielsweise wurde die Dauer der Speicherung “im Normalfall” auf 6 bis 24 Monate festgelegt, sie darf aber auch explizit jederzeit vom einzelnen Staat überschritten werden (in Polen wird es z.B. eine Speicherungsdauer von 15 Jahren geben). Auch die “schwere Straftat” unterliegt der Definition des jeweiligen EU-Mitglieds, wodurch Unterschiede in der Rechtssprechung innerhalb der Union unausweichlich sind.

Gespeicherte Daten

Was wird genau gespeichert und was verbirgt sich hinter dem Begriff Verkehrsdaten? Es soll - kurz gesagt - gespeichert werden, wer wann mit wem per Telekommunikation in Kontakt stand. Hierzu sollen bei Festnetztelefonie die Uhrzeit des Gesprächs, die Telefonnummern des Anrufenden und des Angerufen sowie die Namen und Adressen der Anschlussinhaber gespeichert werden. Bei Mobiltelefonen (Gespräche und SMS-Versand) sollen zusätzlich IMEI und IMSI (hierbei handelt es sich kurz gesagt um weltweit einmalige Seriennummern von Handy bzw. SIM-Karte) sowie der Standort (bestimmt über die Funkzelle, in der das Telefon eingebucht ist) zu Beginn der Verbindung gespeichert werden. Bei Internetzugang soll gespeichert werden, wer wann mit welcher IP-Adresse im Netz war. IP-Adressen stellen bereits für sich allein ein Problem dar [Eine IP-Adresse ist, sehr grob gesagt, eine eindeutige Nummer, die einem Computer z.B. bei der Einwahl ins Internet vom Provider zugewiesen wird, und anhand derer der Rechner dann weltweit für Datensendung und -empfang angesprochen werden kann. Sie lässt sich damit in etwa mit einer Art Haus- oder Telefonnummer vergleichen. Spätestens über den Provider ist anhand der IP-Adresse auch die Identifikation des Nutzers bzw. Besitzers möglich (auch hier besteht übrigens, bezüglich der Unterscheidung von Besitzer und etwaigem Nutzer - z.B. ein Gast -, juristisches Konfliktpotenzial, etwa in der Frage der Haftung).] Die IP-Adresse ist an allen Handlungen im Internet unmittelbar beteiligt, seien es Aufrufe von Webseiten, Dateitransfer über FTP, Chatten mittels Instant Messenger, und anderem. (genauere Informationen z.B. bei Wikipedia). Auch E-Mails sollen protokolliert werden; hier sollen entsprechend den Regelungen für Telefonie Uhrzeit sowie Sender und Empfänger gespeichert werden (noch ist unklar, was dies für anonym nutzbare E-Mail-Dienste bedeuten wird). Internettelefonie (skype u.Ä.) unterliegt den selben Bestimmungen. Daten über fehlgeschlagene Kommunikationsversuche (Leitung besetzt, Anrufer nimmt nicht ab u.Ä.) sollen nur gespeichert werden, wenn dies nach der Gesetzgebung im jeweiligen Staat schon vorher zulässig war. In Deutschland ist dies nicht der Fall. Inhalte, etwa von E-Mails oder Telefongesprächen werden nicht aufgezeichnet, allerdings lässt sich häufig von den o.g. Daten auf Inhalte schließen (z.B. Gespräche mit Anwälten, Drogenberatungsstellen u.Ä.). Aus diesem Grund sind solche Daten ebenso schützenswert wie die eigentlichen Inhalte der Kommunikation. Diese Position findet sich auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Zugriff auf die Daten

Nach dem Richtlinientext sollen die Daten für die Verfolgung "schwerer Straftaten" genutzt werden. Die Definition dieses Begriffs obliegt den einzelnen Mitgliedsstaaten. Im Referentenentwurf des Umsetzungsgesetzes für Deutschland findet sich zusätzlich ein Passus, der die Verwendung der Daten auch für die Verfolgung "mittels Telekommunikation begangener Straftaten" erlaubt. Für solche Taten gilt dann das Erfordernis, dass sie "schwer" sein müssen nicht mehr. Mit dieser Bestimmung können die Daten auch für die Verfolgung von Urheberrechtsverstößten verwendet werden.

Umsetzungsstand

Zur Zeit gibt es einen Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium für ein Umsetzungsgesetz für die VDS. Dieser Entwurf wird die Grundlage für weitere Beratungen sein.


Die Haltung des Deutschen Bundestags zur Vorratsdatenspeicherung

Am 17. Februar 2005 hatte der Deutsche Bundestag eine Vorratsdatenspeicherung noch explizit abgelehnt. Es erging ferner die Aufforderung an die Bundesregierung, diesen Beschluss auch auf EU-Ebene zu vertreten und demzufolge einen EU-Beschluss “pro VDS” nicht mitzutragen. Diese Haltung hat sich mit dem o.g. Beschluss geändert (der Beschluss wurde mit den Stimmen der großen Koalition gegen die der Opposition und die des CDU-Abgeordneten Siegfried Kauder - der keine Zuständigkeit des Europaparlaments und der Kommission in dieser Sache sah - angenommen).


Gefahren durch die Datenspeicherung:

Allgemein gesagt, besteht die größte Gefahr der Vorratsdatenspeicherung darin, dass sich genaue Kommunikationsprofile eines Menschen herstellen lassen:

  • Wer war wann, wie oft und wie lange im Internet?
  • Wer schreibt wem E-Mails?
  • Wer telefoniert mit wem?
  • Wo hat sich jemand bei Anruf XY aufgehalten?

Ein paar Beispiele:

Bewegungsprofile

Über die Aufzeichnung der Funkzellen bei Mobiltelefonen lässt sich in einer Zeit, in der das Handy immer alltäglicher geworden ist, besonders bei häufigem Telefonieren ein ziemlich genaues Bewegungsprofil erstellen.

Der “gläserne Bürger”

Das komplette Kommunikationsverhalten aller EU-Bürger wird durch die VDS transparent. Wer auf die Daten Zugriff hat, sieht, wer wann mit wem telefoniert, gesimst und gemailt hat. Er erkennt dadurch soziale Beziehungen, wirtschaftliche Aspekte (Netshops, aber auch Schuldnerberatungsstellen, zum Beispiel), sexuelle Präferenzen, religiöse Überzeugungen, medizinische Daten (von Informationsseiten über psychische Probleme bis hin zur Schwangerschaftsberatung), und, selbstverständlich, politische Interessen. Es geht also beim Protest gegen die VDS gar nicht so sehr um mögliche Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, sondern darum, dass jeder ungewollt und je nach Internetnutzung, ein fast komplettes persönliches Profil abliefert, in einer Genauigkeit und mit einer Sensibilität der Daten, der wohl kein Mensch freiwillig zustimmen würde. Dass alle diese Daten auch noch fehlinterpretiert werden können, und man somit beispielsweise durch einen islamischen Bekannten unter Umständen in den Ruch terroristischer Umtriebe gerät, oder, wie vor einiger Zeit eine alte Dame in Amerika, des illegalen Filesharings angeklagt wird, obwohl man nicht einmal die entsprechende Software installiert hat, ist nur noch eine zusätzliche Gefahr dieser Sammlung.

Einschränkung der Meinungsfreiheit als Nebeneffekt

Mittels der nach Umsetzung der Richtlinie langfristigen Möglichkeit der Zuordnung von IP-Adressen zu Personen lässt sich jede Form der Meinungsäußerung im Netz zu ihrem Urheber zurückführen, sei es ein Beitrag im Usenet, oder in Webforen. Auch die Arbeit an einer Website wird durch die Speicherung der IP desjenigen, der sie hochlädt transparent. Zudem ist bereits das Wissen um die Existenz der Kommunikationsüberwachung geeignet, Nutzer in ihrem Verhalten und insbesondere ihrer freien Meinungsäußerung zu beeinflussen. Gerade dieser Punkt wird auch von Bürgerrechtlern, ebenso wie vom Bundesverfassungsgericht immer wieder betont. Nicht umsonst ist die freie Meinungsäußerung einer der Grundsätze einer modernen Demokratie. Wer weiß, dass er überwacht wird, und eventuell gar Sanktionen zu fürchten hat, verhält sich im Zweifelsfall “vorsichtiger” und setzt die "Schere im Kopf" an, selbst wenn seine Kritik, an wem auch immer, noch so berechtigt ist.

Datenmissbrauch

Im Augenblick sind diese Daten “nur” für Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendienste zugänglich. Dass dies immer so bleibt, kann jedoch kaum garantiert werden. Man schaue sich nur die Diskussion um die Mautdaten an: Diese waren ursprünglich 'nur' für die Abrechnung der Gebühren gedacht, alle anderen Nutzungen wurden gesetzlich ausgeschlossen, allerdings mehren sich Stimmen, die diese Daten auch für andere Zwecke (Strafverfolgung) nutzen wollen. Wenn die Daten erst einmal vorhanden sind, wecken sie Begehrlichkeiten.

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