Volkszaehlung/boykottrecht 7 b 40/87

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Aufforderung zum „Boykott" der Volkszählung 1987

GG Art.5 II, 81; Versammle §151; BStatG §§15, 23; VZG 1987 §1

1. Jede Empfehlung, geltende Rechtsvorschriften, wie beispielsweise das Volkszählungsgesetz 1987, nicht zu befolgen, stellt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit i. S. des § 15 I Versammle dar.

2. An die Wahrscheinlichkeit einer unmittelbaren Gefahrdung der öffentlichen Sicherheit sind dann nur geringe Anforderungen zu stellen, wenn diese durch Empfehlung zur Nichtbefolgung von Gesetzen und Aufforderung zu Straftaten und Ordnuhgswidrigkeiten hervorgerufen wird.

OVG Koblenz, Beschl. v. 29. 5. 1987- 7 B 40/-87

Zum Sachverhalt:

Die Ast. meldete als verantwortliche Leiterin "für die „'Bürgerinitiativen zur Volkszählung 1987" . . ., eine Aufzug mit Auftakt- und Abschlußkundgebung an, der am 30. 5..1987 in K. stattfinden und unter dem Motto „Volkszählung Nein - Demokratische Rechte statt Repressalien" stehen soll. Mit Verfügung vom 25. 5. 1987 verbot die Ag. die beabsichtigte Veranstaltung. Zur Begründung war dargelegt: Bei Durchführung des Aufzuges sei die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet. Aufgrund verschiedener, im einzelnen genannter tatsächlicher Urnstände sei es als wahrscheinlich anzusehen, daß im Verlauf des Aufzuges zum „Boykott" der Volkszählung und zur Beschädigung von Erhebungsvordrucken (Fragebögen) aufgerufen werde. Hierdurch würden Straf- und Ordnungswidrigkeitstatbestände verwirklicht. Auflagen könnten dies nicht verhindern. Die Ag. ordnete zugleich die sofortige Vollziehung der Verfügung an.

Das VG lehnte den Antrag der Ast. auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80„V VwGO ab. Auch die Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

... Die beanstandete Maßnähme ist ... offensichtlich rechtmäßig.

Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 15 I VersammlG i. d. F. der Bekanntmachung vom 15,11. 1978 (BGB11, 1790). Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde einen Aufzug verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung gehört unter anderem auch, daß die objektive Rechtsordnung unversehrt bleibt. Hierzu zählen nicht nur diejenigen gesetzlichen Bestimmungen, die straf- oder bußgeldbewehrt sind, deren Übertretung der Gesetzgeber also als Straftat oder Ordnungswidrigkeit wertet. Vielmehr stellt jede Empfehlung, geltende Rechtsvorschriften nicht zu befolgen, eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar (vgl. VGH Kassel, NJW 1983, 2280). An die Wahrscheinlichkeit einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sind dann nur geringe Anforderungen zu stellen, wenn diese durch Empfehlung zur Nichtbefolgung von Gesetzen und Aufforderung zu Straftaten und Ordnungswidrigkeiten hervorgerufen wird (vgl. hierzu auch § 5 Nr. 4 VersammlG). Die Voraussetzungen der so auszulegenden Vorschrift des § 15 I VersammlG sind vorliegend gegeben:

Bei Durchführung des geplanten Aufzuges wird zu einer Mißachtung der aus dem Volkszählungsgesetz 1987 vom 8. 11. 1985 (BGB1 I, 2078) - VZG 1987 - und dem Bundesstatistikgesetz (BStatG) vom 22. 1. 1987 (BGB1 I, 462) folgenden gesetzlichen Pflichten sowie zu entsprechenden Ordnungswidrigkeiten (vgl. § 116 I OWiG i. V. mit § 23, § 15 BStatG, § l I VZG 1987) aufgerufen werden. Des weiteren ist zu befürchten, daß es zu Vergehen der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten nach § 111 I StGB kommt. Denn es ist zu erwarten, daß zum Entfernen der auf den Erhebungsvordrucken ausgedruckten Ordnungsnummern aufgefordert werden wird. Hierin läge ein Vergehen der Sachbeschädigung nach § 303 I StGB, weil der Vordruck dann nicht mehr zu dem von Gesetzgeber und Erhebungsstellen bestimmten Zweck verwendet werden könnte. Gegen derartige Straftaten wird auch gem. § 303 c StGB wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung eingeschritten, wie die Einleitung entsprechender strafrechtlicher Ermittlungsverfahren erweist.

Die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ist in dem vorgenannten Sinne hinreichend wahrscheinlich. In zwei undatierten Flugblättern („Volkszählung — Tips und Informationen!!" und „Wenn der Zähler zweimal klingelt"), für die in einem Falle die den geplanten Aufzug veranstaltenden sechs Bürgerintiativen gemeinsam, im anderen die Bürgerinitiative . . . allein verantwortlich zeichnen, wird zur Mißachtung der genannten gesetzlichen Pflichten und insbesondere auch zum Entfernen der Ordnungsnummern der Erhebungsvordrucke aufgerufen. Diese Bürgerinitiativen "werden daher mit Wahrscheinlichkeit derartige Aufforderungen auch bei dem für den 30. 5. 1987 geplanten Aufzug wiederholen. Die anderslautende Versicherung der Ast. ist angesichts der festgestellten tatsächlichen Umstände widerlegt. Mit entsprechenden Auflagen ist der zu besorgenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht wirksam zu begegnen.

Die Grundrechte der Ast. nach Art. 511, Art. 8 I GG zwingen zu kerner anderen Beurteilung: Für die Empfehlung, geltende Rechtsvorschriften, wie beispielsweise das Volkszählungsgesetz 1987, nicht zu befolgen und zu diesem Zweck zudem Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu begehen, können Grundrechte nicht in Anspruch genommen werden. Solche Empfehlungen haben mit einer - zulässigen - geistigen Auseinandersetzung über Recht- und Zweckmäßigkeit des Volkszählungsgesetzes 1987 nichts zu tun. Sie stellen vielmehr ein Druckmittel dar, das darauf abzielt, mit der Drohung eines Mißlingens der Volkszählung die Aufhebung dieses Gesetzes zu erreichen oder im Widerspruch zur freiheitlich demokratischen Grundordnung die Respektierung des Gesetz gewordenen Mehrheitswillens des Volkes zu verhindern (zum Ganzen vgl. auch Beschlüsse des Senats v. 13. 3. 1985 -7 B 6/85 - und v. 24. 5. 1986 - 7 B 36/86; VGH Kassel, NJW 1983, 2280).