Freiheit statt Angst am 12. September 2009/Rede von Thilo Weichert

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Rede von Thilo Weichert Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) bei der Kundgebung der Demonstration „Freiheit statt Angst“ am 12.09.2009 in Berlin

Es gilt das gesprochne Wort

Liebe Leute,

"Freiheit statt Angst" - das ist das Motto unserer heutigen Demonstration. Große Teile der Politik können mit diesem Motto - noch - nichts anfangen. Die Politikerinnen und Politiker meinen, dass wir in der freiheitlichsten Gesellschaft leben, die wir je hatten. Wir können um die ganze Welt fliegen, wir können essen und trinken, was uns gefällt, wir können konsumieren ohne Ende, und wir können sogar sagen, was wir meinen. Dass diese Freiheiten durch Überwachung und Zensur in Gefahr sind, glaubt man uns nicht. Für die herrschende Politik gibt es eine analoge Welt mit Diktatoren, Terroristen, Kinderschändern, Wirtschaftskriminellen und Rechtsextremisten. Bedienen die sich digitaler Techniken, so die Logik, dann muss eben überwacht und zensiert werden. Dabei ist den Politikern zumeist nicht ansatzweise bewusst, dass sie mit völlig untauglichen Mitteln vorgehen, und dass sie zur Verteidigung unserer analogen Sicherheit unsere digitalen Freiheitsrechte opfern.

Die regierende Politik hat bis heute nicht verstanden, was Informationsgesellschaft bedeutet. Globale Informationsgesellschaft bedeutet, dass Diktaturen mit Hilfe ihrer Internetüberwachung jede elektronische Kommunikation scannen, speichern, auswerten, kontrollieren und unterbinden kann. Globale Informationsgesellschaft bedeutet, dass die Technik für diese Überwachung und Zensur aus westlichen Staaten importiert wird – aus angeblich demokratischen Staaten, wie unsere Bundesrepublik. Globale Informationsgesellschaft bedeutet, dass Google die Nutzungsdaten von hunderten von Millionen Internetnutzerinnen und -nutzern weltweit praktisch unbeschränkt speichern und auswerten kann und dass dieses Unternehmen mehr Wissen und Macht über Menschen hat als die meisten Staaten. Wirtschaftsunternehmen können mit Daten Menschen gefügig machen, ohne dass diese dies überhaupt merken. Es sind heute noch Fremdwörter für die Politik: Tracking, Scoring, Profiling, Identity Theft. Derart werden nicht nur Daten verarbeitet, so werden Menschen überwacht, diskriminiert und manipuliert, so werden Menschen ihrer Freiheit beraubt.

Diese digitalen Methoden werden auch von CIA, FBI und NSA verwendet, wenn wir in die USA reisen, wenn wir Geld überweisen, wenn wir im Internet einkaufen oder kommunizieren. Diese Methoden lassen sich jetzt auch schamlos deutsche und europäische Sicherheitsbehörden genehmigen. Vorratsdatenspeicherungen, Online-Durchsuchungen, Passenger Name Records, Banktransaktionsanalysen kann man ja nicht sehen. Es fließt kein Blut und es gibt keine Toten und Verletzten.

Ich bin immer wieder schockiert, dass meine Altersgenossen in der Politik noch nicht gemerkt haben, dass unsere Freiheitsrechte eine digitale Dimension haben. In Wohnungen kann man auch mit Lausch- und Spähangriffen eindringen. Für das Plündern des Bankkontos sind nur einige Kontodaten nötig. Mit sog. elektronischen Fußfesseln können Menschen unsichtbar ihrer Freiheit beraubt werden. Für politische Verfolgung bedarf es keiner Folter, es genügt die Dateispeicherung als angeblicher Terrorist.

Staat und Wirtschaft legen uns immer mehr elektronische Fuß-, Hand- und Gehirnfesseln an. Über nötige Schutzmaßnahmen werden keine Gedanken verschwendet. Die aktuellen Änderungen des Bundesdatenschutzgesetzes sind eher Beruhigungspillen für die Bundestagswahl mit einem kurzen Verfallsdatum und mit geringer therapeutischer Wirkung. Noch kein einziger Staat auf der Welt hat ernsthaft versucht, die informationelle Macht von Firmen wie Microsoft oder Google einzugrenzen. Noch keine Staatengemeinschaft – auch nicht die Europäische Union – hat sich ernsthaft beim Datenschutz versucht, wenn Daten für Sicherheitszwecke grenzüberschreitend ausgetauscht werden. Der Datenschutz landet derweil auf den Streichlisten der Haushaltspolitiker und zum Stopfen der Finanzlöcher, die andere globale Finanzunternehmen aufgerissen haben. Unsere gelebte globale Informationsgesellschaft kennt vor allem die Freiheiten der Staaten und der großen Unternehmen. Eine solche Informationsgesellschaft macht uns Angst.

Es gibt eine Alternative dazu. Ordnungsbehörden und Strafverfolger müssen natürlich professionell eingesetzt werden gegen wirkliche Wirtschaftskriminelle, Kinderpornografen und Gewalttätige, die das Netz für ihre asozialen Ziele missbrauchen. Sie sollen aber die Netznutzer in Ruhe lassen, die sich über das Internet informieren, die elektronisch ihre Ideen und Träume austauschen, die ihre legalen Geschäfte über das Web abwickeln oder die sich einfach nur unterhalten und zerstreuen wollen. Für die Bevölkerung benötigen wir Informations- und Meinungsfreiheit, nicht Totalkontrolle, wir benötigen Angebote zum Selbstschutz, nicht Zensur, wir benötigen handlungsfähige unabhängige Datenschutzbeauftragte, nicht symbolische Gesetzgebung.

Wir müssen lernen, die Segnungen der Informationsgesellschaft zu genießen und zu nutzen, ohne in einen totalitären Überwachungsstaat oder eine totalitäre Konsumgesellschaft abzugleiten. Auch wenn wir hunderte digitale Geräte um uns herum haben, wollen wir keine Angst haben, sondern frei sein. Deshalb sind wir heute hier. Und deshalb ist die heutige Demonstration so wichtig.