Freiheit statt Angst am 12. September 2009/Rede von Anne Roth
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Anne Roth
Bloggerin, Partnerin von Andrej Holm
http://annalist.nobogs.org | http://twitter.com/annnalist | http://identi.ca/annalist | <enkode>annalist@riseup.net</enkode>
mehr Informationen zu Andrej Holm hier http://annalist.noblogs.org/category/berwachung-im-alltag
Rede bei der Abschlusskundgebung Freiheit statt Angst, 12.9.09
Es gilt das gesprochene Wort
Im Unterschied zu den meisten hier weiß ich, dass ich überwacht werde. Mehr als durch Vorratsdatenspeicherung, Videokameras, Payback-Karten oder alleserfassende Datensammlungen. Seit 2006 wird gegen meinen Freund Andrej Holm ermittelt – erst wurde er zum Terroristen gemacht, nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft soll er nur noch Teil der kriminellen Vereinigung 'militante gruppe' gewesen sein und ihre Texte geschrieben haben. Drei Jahre später gibt es keine neuen Erkenntnisse, aber die Ermittlung dauert an. Zur Überwachung gehört, oder gehörte – das wissen wir nicht – Überwachung von Telefonen und Handys, stille SMS zur Ortung, Videokameras vor und hinter dem Haus, GPS-Peilsender an Autos, Überwachung von E-Mails und angesurften Internetseiten, kleine Lauschangriffe, verdeckte Ermittler.
Ich kenne aber auch das unangenehme Gefühl der Unsicherheit, ob ich überwacht werde. Ich bin seit vielen Jahren politisch aktiv und die Frage, was das Knacken im Telefon zu bedeuten hat, ist bei über einer Million überwachter Telefonate in Berlin 2008 nicht abwegig.
Inzwischen habe ich einige Abhörprotokolle des BKA gelesen, selbst zu Telefonaten mit meiner Mutter über das Fernsehprogramm.
Ich kenne den körperlichen Ekel, den es auslöst, wenn ich weiß, dass sie da sind. Dass sie meine Mails lesen, immer zuhören, beobachten. Alles kommentieren und unser Leben in einer Weise interpretieren, wie wir es nicht leben.
Beides macht Angst. Es macht Angst, darüber nachzudenken, ob ich diese Website aufrufe oder auf jene Demo gehe. Und es macht Angst darüber nachzudenken, wie sie es bewerten, dass wir über irgendwas gerade geredet haben. Oder über irgendwas gerade nicht geredet haben. Es lähmt.
Wir haben gelernt, dass wir die Freiheit haben, uns von dieser Angst nicht fressen zu lassen. Das hat uns geholfen, nicht still abzuwarten, ob der Sturm vorüberzieht, und uns nicht mit dem Gefühl einzuigeln, dass „sowas eben passieren kann“, wenn man den Mund aufmacht.
Freiheit statt Angst kann auch heißen, sich die Freiheit zu nehmen, mit der Angst fertig zu werden. Es ist kein Entweder-Oder.
Wir haben und die Freiheit genommen, alles öffentlich zu machen und uns so zu wehren. Andrej redet und schreibt mehr denn je über Gentrifizierung. Ich schreibe über das Verfahren gegen ihn und die gegen viele andere, denen ähnliches passiert. Zum Beispiel auch über die drei, die wohl diesen Monat noch als angebliche Mitglieder der 'militanten gruppe' in Berlin verurteilt werden, obwohl der Prozess gegen sie so abstrus und voller schräger Geschichten ist wie die Ermittlung gegen Andrej Holm.
Alleine hätten wir das nicht geschafft. Uns haben sehr viele geholfen, bei denen wir uns heute nochmal bedanken wollen. Ganz unterschiedliche Leute, Gruppen und Netzwerke, die das nicht nur gemacht haben, um uns zu helfen, sondern weil sie wussten, dass ihre eigene Freiheit in Gefahr ist, wenn Überwachung und Terrorismus-Prozesse ohne Widerspruch hingenommen werden. Wir werden nur weiterkommen, wenn sich viele gemeinsam für Freiheit statt Angst einsetzen. Und dazu ist diese Demonstration ein wichtiger Schritt.