Argumente gegen die Vorratsdatenspeicherung

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Hier findet sich eine Übersicht der Argumente gegen die Vorratsdatenspeicherung.

(Siehe auch die Hintergrund-Informationen zur Vorratsdatenspeicherung)

Inhaltsverzeichnis

Verhältnismäßigkeit

Verhältnismäßigkeit ist eine grundlegende Säule der Rechtsstaatlichkeit und besitzt als solche in Deutschland Verfassungsrang. Grundrechtseinschränkende Maßnahme müssen demnach geeignet sein, dass angestrebte Ziel zu erreichen. Bzw. muss aus mehreren Möglichkeiten zur Erreichung des Zieles der Verbrachensbekämpfung, diejenige Lösung gewählt werden, die den minimalen Grundrechtseingriff und die geringsten Nebenwirkungen hat. Das Ziel, Verbrechen aufzuklären ist sicherlich legitim, aber dies ist noch keine hinreichende Bedingung. Die Vorratsdatenspeicherung von Internet-Verbindungsdaten aller Bürger, nur weil wenige von ihnen Verbrechen mithilfe des Internets planen könnten, ist somit unverhältnismäßig. Ihr Nutzen ist - wenn überhaupt vorhanden - minimal, die Grundrechtseingriffe sind allerdings enorm und es gibt bessere Lösungen für eine erfolgreiche Verbrechensbekämpfung.

Nutzen

Für die Verhinderung terroristischer Akte eignet sich die VDS nicht mehr als die bereits existierenden gesetzlichen Möglichkeiten. Gerade sogenannte „Schläfer“, die bis zum Anschlag selbst ein vollkommen unauffälliges Leben führen, bieten ja bereits qua Definition keine Anhaltspunkte für den bereits angesprochenen „Anfangsverdacht“, und damit auch keine Grundlage für einen richterlichen Beschluss. Einen Beschluss, der nach jetziger Rechtslage einer Überprüfung der gewonnenen Daten vorausgehen muss. Maximal lassen sich mit den Daten in einem solchen Fall also nach einem Anschlag die Handlungen des ehemaligen Schläfers zurückverfolgen.

Solange keine anlasslose Abfrage und Kontrolle von Daten eingeführt wird (was den totalen Überwachungsstaat bedeuten würde), bietet die VDS damit nichts, was nicht beispielsweise auch mit dem „Quick Freeze" Verfahren möglich wäre.

Von höherer Sicherheit im Sinne einer Prävention terroristischer Akte durch die VDS kann aus diesem Grunde nicht die Rede sein.

Kontraproduktivität

Durch die VDS werden Anonymisierungsverfahren auch für Journalisten, Bürgerrechtsorganisationen, etc. interessant bzw. notwendig und ihre Weiterentwicklung dadurch zusätzlich legitimiert und evtl. beschleunigt. Gezielte Überwachung von Kriminellen wird dann immer schwieriger.

Mögliche Alternative: “Quick Freeze”

In den USA kommt eine “Quick Freeze” genannte Praxis zum Tragen. Diese wird in begründeten Verdachtsfällen eingesetzt: Auf richterlichen Beschluss erfolgt dann eine Sicherung der Telekommunikationsdaten des jeweiligen Verdächtigen. Es kommt also zu einer individuellen, anlassbezogenen Speicherung, im Gegensatz zur VDS in der EU, welche kollektiv und anlasslos ist. Der Nutzen ist praktisch der gleiche, allerdings ist der Grundrechtseingriff deutlich geringer.

Dieses Verfahren eignet sich jedoch nur um zukünftige Daten zu speichern. Da Tatverdächtige zwangsläufig erst nach einer Straftat ermittelt werden können, stehen Daten zum Zeitpunkt der Straftat als Beweismittel nur zur Verfügung, wenn sie vorher anlasslos gespeichert wurden. Das BVerfG und selbst Kritiker der Vorratsdatenspeicherung kommen zum Ergebnis, daß das Quick-Freeze-Verfahren keine Alternative ist.

Beispiel für Sinnlosigkeit der Bemühungen des Staates

Der Staat hat richtig erkannt, dass er gegenüber einem Individuum im Nachteil ist, falls dieses eine bessere Strategie hat als der Staat. Durch eine Vorratsdatenspeicherung und Auswertung im verdächtigen Einzelfall kann der Staat aber trotzdem nicht wissen, was das Individuum als nächstes tun wird und wird immer im Nachteil sein. Selbst wenn er die Inhalte auswerten würde.

  • 2011-06-13 Dieses Argument bestärkt den Staat darin, verschärfte Maßnahmen zu ergreifen. Stichwort: Projekt INDECT

Unschuldsvermutung

In einem demokratischen Rechtsstaat herrscht die Unschuldsvermutung. Diese ist im Grundgesetz implizit (Art. 20), in der Europäischen Menschenrechtskonvention explizit (Art. 6) enthalten. Eine Aufnahme von Ermittlungen, und damit z.B. eine Überwachungsmaßnahme wie die VDS erfordert einen Anfangsverdacht, der voraussetzt, dass “zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.” (§ 152 Abs. 2 Strafprozessordnung). Dieser Anfangsverdacht ist im Fall der VDS aber nicht gegeben – angesichts von bald nahezu einer halben Milliarde Menschen in der EU kaum verwunderlich. Da eine Aufnahme von Ermittlungen, wie gesagt, den Anfangsverdacht voraussetzt, wird im Rückschluss der EU-Bürger durch die Vorratsdatenspeicherung gleichermaßen kriminalisiert: Er ist ein potentieller Terrorist (oder “schwerer Verbrecher”), der gesichert werden muss.

Gefährdung der Demokratie durch das organisierte Verbrechen

Die gespeicherten Verbindungsdaten enthalten zwangsläufig auch alle Informationen, die Aufschluss über Maßnahmen gegen das organisierte Verbrechen geben, wie die Kommunikationsbeziehungen von Staatsanwälten und von Strafverfolgungsbehörden, wie die Recherchen von kritischen Journalisten – eine Unterscheidung und Nicht-Speicherung solcher Verbindungsdaten von anderen ist technisch unmöglich. Informatiker wissen, dass kein Computersystem so gesichert werden kann, dass es absolut unangreifbar ist. Erlangt das organisierte Verbrechen Zugriff auf das geplante Datenspeicherungssystem, so kann es alle Gegenmaßnahmen umgehen oder bereits im Vorfeld verhindern. Außerdem ist mit diesen Daten eine Erpressung weiterer wichtiger Personen oder die Ausschaltung von "Abtrünnigen" des organisierten Verbrechens sehr effektiv möglich. Das Erreichen eines Zugangs ist auf vielfältige Weise denkbar, beispielsweise durch die Erpressung eines Zugangsberechtigten, so dass dieser einen Schlüssel herausgibt. Besonders schwer wiegt, dass auf Drängen der Geheimdienste hin die Zugriffe auf das Datenspeicherungssystem nicht zurückverfolgbar sein sollen, so dass nicht einmal bekannt wird, wenn sich das organisierte Verbrechen Zugang verschafft hat.

Wenn aber von der Datensammlung eine solche Gefahr für die Demokratie ausgeht, und gleichzeitig die Daten nicht ausreichend geschützt werden, dürfen die Daten gar nicht erst zusammen getragen werden.

Informationelle Selbstbestimmung

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung garantiert dem Bürger das Recht, über die Offenbarung und Verwendung personenbezogener Daten selbst zu verfügen. Die gespeicherten Verkehrsdaten fallen per Definition in diese Kategorie, da sie sich einer bestimmten Person zuordnen lassen (s. auch Bundesdatenschutzgesetz).

Dieses Grundrecht wird mit der zwangsweisen Speicherung der individuellen Telekommunikationsdaten eklatant verletzt. Der Bürger hat als Betroffener der VDS weder Macht, noch Kontrolle darüber, was er von seinem Telekommunikationsverhalten preisgibt. Um das "Volkszählungsurteil” des Bundesverfassungsgerichts zu zitieren, besteht die Gefahr, dass “[personenbezogene Daten] zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne dass der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann.” Wer so nicht weiß, wer was über ihn weiß, wird in seiner freien Entfaltung eingeschränkt, insbesondere, was politische Aktivitäten angeht. Dies hat negative Folgen für eine liberale, demokratische Gesellschaft. Weiterhin dürfte die Speicherung auch dem Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) zuwiderlaufen.

Kosten

Auf den Bürger kommen auf jeden Fall immense Kosten zu: Entweder die Provider erhalten vom Staat eine Entschädigung für ihre Investitionen in die nötige, sehr umfangreiche, Infrastruktur zur Speicherung der Daten, die im Endeffekt dann wieder vom Steuerzahler finanziert wird, oder sie erhalten keine Entschädigung; in diesem Fall müssten sie ihre Kosten direkt auf ihre Kunden umlegen. Die Überwachung, Datenspeicherung und der Zugriff auf Daten sind in jedem Fall nicht einfach so "da" - dazu bedarf es Technik und Manpower, sowohl bei der Einrichtung als auch im Betrieb. Das kostet Geld. Wie man bei Telepolis recherchieren kann, kostet alleine die Geheimhaltung recht banaler Dokumente in den USA den Steuerzahler jährlich mehrere Milliarden. Und dieses Geld kommt auf dem einen oder anderen Weg aus den Taschen der Bürger und Verbraucher, ob über Steuern, Inflation oder Preise refinanziert.

Mit der angedachten EU-Flugdatenspeicherung ist z.B. eine Preissteigerung zu erwarten [1]. Die E-Mail-Überwachung seit 2005 ist auch nicht kostenlos gewesen - an den SINA Boxen hat auch jemand verdient - und jemand anders bezahlt. Und es ergeben sich interessante Konstellationen: Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily hat den RFID Reisepass eingeführt, die Kosten von 26 auf 59 Euro hochgetrieben und sitzt nun bei zwei Biometrie-Firmen im Aufsichtsrat.

Es wird von Befürwortern der VDS gerne argumentiert, dass ein Autofahrer schließlich auch für die Sicherheit seines PKW aufkommen müsse. Das mag logisch klingen, ist es aber keineswegs: Er vermindert damit die von ihm selbst ausgehenden Gefahren für sich und andere. Dies ist nicht die Zielrichtung der VDS, bei ihr geht es um die verdachtslose Speicherung von Daten. Ein passenderer "Auto-Vergleich" wäre folgender: Die VDS entspricht dem verpflichtenden Einbau von Ortungsgeräten in alle PKW, mit denen Bewegungsprofile aufgestellt werden, um z.B. Fahrerflucht besser aufklären zu können. Aber auch dieser Vergleich hinkt: Es existieren gleichwertige Alternativen zum Auto, die alternativ genutzt werden können. 'Genau dies ist aber bei der Telekommunikation nicht der Fall', da sämtliche Kanäle überwacht werden. Weiterhin handelt es sich bei der Sicherheit eines Autos um eine individuelle Präventionsmaßnahme gegenüber Gefahren, deren Wahrscheinlichkeit die eines terroristischen Anschlags, dem der Bürger zum Opfer fallen könnte, zigfach übersteigt (siehe auch Verhältnismäßigkeit).

Gefährdung der Demokratie und der Meinungsfreiheit

Wer weiß, dass sein Kommunikationsverhalten protokolliert wird und u.U. später gegen ihn verwendet werden könnte, der wird darauf achten, nicht unangenehm aufzufallen, sondern stattdessen die "Schere im Kopf" ansetzen. Diese Gefährdung der freien Meinungsäußerung sei jetzt schon zu beobachten, so der Netzaktivist padeluun. Wer auch nur befürchte, dass jedes Telefonat, jeder Besuch im Internet, jede Äußerung in Chatrooms von der Wirtschaft oder dem Staat mitgehört oder mitgelesen werden könne, passe sich oft den jeweils gängigen Meinungen an - vielleicht nur aus Angst, ein späterer potentieller Arbeitgeber könne etwas nachlesen. Demokratie funktioniert aber nur, so padeluun weiter "indem wir selber uns immer trauen, unsere Meinung zu sagen und zwar die, die wir wirklich glauben und nicht die, von der wir glauben, dass sie Andere hören wollen, um dafür dann kleine Vorteile zu kriegen. Und dieser Anpassungsdruck, der damit erzeugt wird, indem ich das Gefühl hab, da bewertet mich jemand, da hängt vielleicht meine Karriere von ab, was ich sage, das führt dazu, dass man sich versimpelt." (aus dlf:17.6.2006, Freiheit statt Sicherheitswahn, Berichterstattung über die Demo am gleichen Tag mit dem gleichen Motto und ca. 250 TeilnehmerInnen in Berlin) Gerade diese Freiheit, seine Meinung frei und ohne Angst vor Repressalien äußern zu können, ist aber wiederum eine der Grundvoraussetzungen für eine funktionierende Demokratie.

Anonyme Kommunikation dennoch weiterhin möglich

So umfassend die VDS auch ist, kann sie dennoch vom Einzelnen umgangen werden. Es existieren diverse Arten von Anonymisierungs- und Verschlüsselungssoftware, die dafür sorgen, dass IP- Adressen und Inhalte verborgen bleiben. Derartige Software erfordert jedoch ein, gemessen an den Kenntnissen eines normalen Internet-Nutzers, teilweise recht hohes Maß an Computerkenntnissen und genießt eher selten weite Verbreitung (in manchen Fällen ist Voraussetzung, dass sowohl Sender als auch Empfänger die Software benutzen, damit eine anonyme Verbindung zustandekommen kann). Mangelnde Geschwindigkeit, fehlende technische Kenntnisse und schlechte Verfügbarkeit sind wohl die Hauptfaktoren dafür, dass solche Software nur von vergleichsweise wenigen Leuten benutzt wird. Eine (englische) Übersicht über verschiedene Techniken hatte die ISOC Polen bereits Anfang Dezember 2005 an alle Abgeordneten des Europaparlaments verteilt.

Ein Mensch jedoch, der wirklich will, dass seine Kommunikation geheim bleibt (der vielzitierte „Terrorist“ etwa, oder auch nur ein computertechnisch versierter Bürger, der sich vom Staat nicht permanent über die Schulter blicken lassen will), kann diese Software einsetzen, um seine Kommunikation abzusichern. Und gerade Verbrecher werden die damit verbundenen Nachteile - bei Anonymisierern für das Web etwa die sehr langsame Datenübermittlung, oder auch die Zeit, um sich in die Benutzung der Programme einzuarbeiten, weniger wichtig sein, solange ihre Botschaften und Pläne nur unbemerkt ihr Ziel erreichen. Den normalen Internetnutzer hingegen beeinträchtigen derartige Maßnahmen erheblich. Wer „einfach nur mailen und surfen“ will, nimmt keine langdauernde Einarbeitung in derartige Programme auf sich, und wird spätestens durch die langsame Datenübertragungsrate abgeschreckt.

Dies alles führt dazu, dass im Endeffekt die überwältigende, unschuldige und unverdächtige Mehrheit der Bevölkerung also der Überwachung unterliegen wird, während sich Verbrecher, die es ernst meinen, ihr ohne Probleme entziehen können.

Informantenschutz und Berufsgeheimnisse

Problematisch ist diese Richtlinie u. a. auch für Journalisten. Angesichts der Aufzeichnung von Kommunikationsverbindungen (und dadurch Gesprächspartnern) müssen Informanten nun befürchten, noch schneller enttarnt zu werden. Es ist zu erwarten, dass dies gerade bei brisanten Themen, wie etwa staatlicher Korruption, Waffengeschäften, Menschen- und Bürgerrechtsfragen, zum Tragen kommt, und somit sowohl Qualität als auch Quantität derartiger Berichte und Reportagen großer Schaden zugefügt wird. Ob der vom EU-Parlament beschlossene Änderungsantrag, demzufolge das Berufsgeheimnis unter anderem von Journalisten gewahrt bleiben müsse, in der Praxis ausreichend ist bleibt abzuwarten. Ähnliche Bedenken können auch für andere Berufsgruppen geäußert werden: Auch die Arbeit von Anwälten, Seelsorgern und Beratungsstellen wird beeinträchtigt, wenn man weiß, dass die Kommunikation mit ihnen zurückverfolgt werden kann.

Umweltbelastung

Da nahezu alle Kommunikationsunternehmen zusätzliche Server für die Speicherung der Daten benötigen trägt die Vorratsdatenspeicherung auch zusätzlich zum Klimawandel bei. [2]

Da die Unternehmen seit Jahren über die notwendigen Kapazitäten zur Datenspeicherung verfügen, da die Daten zu Abrechnungszwecken benötigt wurden (Berechnung der Kosten für Internet-Nutzung, als es noch keine Flat-rates gab) und auch heute verfügen (Einzelverbindungsnachweis auf Antrag für jeden Kunden), wird dieses Problem nicht entstehen.

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