Freiheit statt Angst am 12. September 2009/Rede von Frank Bsirske

Aus Freiheit statt Angst!
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Rede von Frank Bsirske auf der Demo: „Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn!“ am 12. September 2009 in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

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Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Netz-Aktivisten!

Ich spreche hier im Namen von Millionen von Arbeitnehmern in unterschiedlichsten Berufen.

Arbeitnehmern, denen Überwachung kein Fremdwort ist.

Früher sprach man davon, dass uns die neuen Informationstechniken mehr Demokratie bringen würden.

Und selbstbestimmteres Arbeiten.

Doch heute stehen wir hier, und ringen darum, unsere mühsam erkämpften Grundrechte zu erhalten.

Mit dem Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnik ist der Kontrollwahn ausgebrochen - in Staat, Wirtschaft und Arbeitswelt.

Arbeitgeber behandeln ihre Mitarbeiter zunehmend wie Leibeigene.

Sie nutzen die neuen Technologien, um zu erfahren, wo sich ihre Mitarbeiter aufhalten, mit wem sie reden, mit wem sie telefonieren, mit wem sie eMails austauschen, was sie denken, ob und wie sie sich gewerkschaftlich engagieren.

Arbeitgeber speichern Daten über Ursachen von Krankheiten ihrer Mitarbeiter - von denen sie gar nichts wissen dürften.

Das ist ein Skandal!

Und, kein Einzelfall, ich sage nur: Lidl, Schlecker, Telekom, deutsche Bank und – wir stehen direkt davor – die deutsche Bahn.

Wir können es nicht länger zulassen, dass Persönlichkeitsrechte, die Vereinigungs-, die Koalitionsfreiheit mit den Füßen getreten werden!

Wir leben doch nicht in einer Bananenrepublik!

Das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren, ist Teil unseres Grundgesetzes, ist Teil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Doch auch ich, als Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di, bin Zielscheibe der Überwachung geworden; durch einen Konzern, dessen Mitarbeiter wir gewerkschaftlich vertreten.

Arbeitnehmer, Gewerkschafter, aber auch Journalisten und viele andere Bürgerinnen und Bürger werden zunehmend bespitzelt und überwacht.

Damit muss Schluss sein!

Wir brauchen einen verantwortungsvollen Umgang mit den Informations- und Kommunikationstechniken.

Der Staat muss da mit gutem Vorbild vorangehen.

Datensparsamkeit und die Wahrung der informationellen Selbstbestimmung sollten sein oberstes Ziel sein.

Doch wie geht er beispielsweise mit den Ärmsten im Land um? Denjenigen, die in finanzielle Not geraten sind und als Hartz IV-Empfänger Arbeit suchen?

Die Bundesagentur für Arbeit ist auf dem Holzweg, wenn sie sich vom digitalisierten Sammeln sensibler Daten erwerbsloser Menschen eine Verbesserung der Vermittlung erhofft.

Persönliche, teils intime Daten, die nach dem Schema einer vorgegebenen Software abgespeichert und bundesweit (!) in allen Jobcentern zugänglich sind!

Das ist ungeheuerlich.

Und statt diesen unhaltbaren Zustand endlich abzustellen, soll jetzt der Bereich der bundesweit zugänglichen Daten noch erweitert werden – erweitert auf die Empfänger des Arbeitslosengelds.

Und nicht nur die Bürger, sondern auch die Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit sind betroffen: Mit Software kann ihre Leistung und ihr Verhalten geprüft werden.

Datenschutz ist für die Bundesagentur für Arbeit offensichtlich ein Fremdwort.

Von den Kosten haben wir hier noch gar nicht gesprochen. Eine neue Software ist sehr teuer – doch eine gute Vermittlungsarbeit kann sie nicht ersetzen.

Überhaupt sollten endlich mal Software-Kosten und Qualität der Leistung überprüft werden. Auch und gerade wo es um das Versprechen von Sicherheit geht.

Das führt manchmal zu abstrusen Auswüchsen. Nehmen wir mal ein ganz kleines Beispiel:

Es gibt Kitas, die allen Ernstes einen Fingerabdruckscanner eingeführt haben, um sicherzustellen, dass nur die richtigen Eltern IHR Kind abholen.

Was früher nur von Verbrechern genommen wurde, der Fingerabdruck, müssen Eltern jetzt im Kindergarten abgeben.

Ich aber frag mich, was läuft da schief, wenn die Erzieherinnen die Eltern nicht erkennen?

Wie gut ist die Betreuung? Sollte man in diesem Fall nicht, statt in Technik, in Menschen investieren?


Kolleginnen und Kollegen, verehrte Damen und Herren:

Es ist an der Zeit, dass Politiker und Arbeitgeber verstehen, dass Datenschutz in die Entwicklungsphase von IT-Projekten gehört und nicht erst hinterher draufgepfropft wird.

In einer demokratischen Gesellschaft ist Datenschutz nicht Hindernis, sondern Basis der IT-Projekte.

Und wie fragil eine Demokratie ist, wissen wir als Deutsche nur zu gut.

Man stelle sich vor, wozu ein politisch motivierter Online-Zugriff auf zentrale Datensammlungen mit persönlichen Daten führen kann – seien sie staatlich oder privatwirtschaftlich.

Ein Zugriff auf Daten mit Angaben zu Religion, zu sexueller Neigung, zur Gesundheit oder zu politischer Überzeugung.

Es liegt in unserer Verantwortung, politische und infrastrukturelle Strukturen zu schaffen, die niemals missbraucht werden können.

Im Zweifelsfall gehört dazu auch, dass man von manchen Projekten grundsätzlich die Finger lässt.

Ich nenne hier nur das Stichwort „Vorratsdatenspeicherung“. ver.di hat gegen die Vorratsdatenspeicherung Klage eingereicht.

Verehrte Damen und Herren,

Die Bespitzelung und allgemeine verdachtslose Überwachung von Arbeitnehmern und Bürgern muss ein Ende haben! In Deutschland, in Europa und der ganzen Welt!

Der Arbeitnehmerdatenschutz, die Koalitionsfreiheit, die Meinungs- und Pressefreiheit müssen gestärkt werden!

Das bedeutet auch:

Wir brauchen ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz! Und: Die Vorratsdatenspeicherung muss abgeschafft werden!


Liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe Politiker,

Wir wollen keine Gesellschaft, in der sich jeder beobachtet und überwacht fühlen muss!

Was wir wollen ist: eine Gesellschaft, in der sich Menschen – privat oder am Arbeitsplatz – mutig und engagiert für ihre Rechte einsetzen können!

Wir wollen eine starke Demokratie!