Nichts zu verbergen?

Aus Freiheit statt Angst!

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Wissen bedeutet Macht. Demzufolge gibt jede Information, die ein anderer über uns besitzt, ihm somit auch Macht über uns. Dennoch hält sich das Argument, dass, wer ein rechtschaffener Mensch sei, nichts zu verbergen und somit durch zunehmende Überwachungsmaßnahmen auch nichts zu befürchten hätte, leider noch immer hartnäckig in der Gesellschaft.

Weshalb es sich dabei um einen weit verbreiteten Irrglauben handelt, zeigen die folgenden Beispiele. Wer nichts mehr von sich zu verbergen hat, muss nicht nur ein unglaublich langweiliger Mensch sein, sondern kann auch als gesetzestreuer Bürger nicht nur kleine Unannehmlichkeiten, sondern auch gravierende Problem in seinem Leben bekommen.

Doch auch für unsere Gesellschaft kann der Verlust der Anonymität erhebliche Folgen haben. Denn Menschen, die sich beobachtet fühlen, verhalten sich anders als solche, die nicht beobachtet werden. Von seinen Freiheitsrechten macht der Einzelne nicht mehr in dem Umfang Gebrauch, wie er es anonym tun würde, wobei z.B. die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird. Um nicht negativ aufzufallen. passen sich somit nach und nach immer mehr Menschen auch unbewusst der Norm an. Innerhalb einer Gesellschaft würden so langsam die Andersdenkenden und Originale aussterben. Diese Einheitsgesellschaft wäre nicht mehr in der Lage, sich geistig und sozial weiterzuentwickeln. Intoleranz würde zunehmen und die Fähigkeit zu Innovation verkümmern. (siehe Panopti)

Inhaltsverzeichnis

Was ich zu verbergen habe, entscheide nicht ich, sondern mein Umfeld

Was wir besser verbergen oder öffentlich machen, entscheiden wir in der Regel nicht frei, sondern wird primär von der jeweiligen Gesellschaft und Rechtsordnung geprägt, in der wir uns aufhalten.

Was in dem einen Land legal ist und toleriert wird, kann in einem anderen Land bestraft werden und geächtet sein. So werden beispielsweise EU-Bürger, die in den Deutschland leben, wegen Cannabiskonsum verfolgt, während dies bei in den Niederlanden wohnhafte Menschen geduldet wird. Alkohol, der in der westlichen Welt eng mit der dortigen Kultur verwachsen ist, wird im Islam verpöhnt. Ähnlich verhält es sich mit Schwangerschaftsabbrüchen, Prostitution, Homosexualität oder politischer Meinungsäußerung. Selbst beim Thema Terrorismus können unterschiedliche Betrachtungen existieren. So kann eine Organisation in einem Land als Freiheitsbewegung betrachtet werden, während sie in anderen Staaten als Terrorgruppe wahrgenommen wird. Und wie ist es zu beurteilen, wenn auch Staaten, in denen die Todesstrafe vorkommt, mit gleichen polizeilichen Befugnissen ausgestatten werden sollen?

Zudem können sich auch innerhalb eines Landes, einer Gesellschaft oder einer Gruppe Rechtslagen oder ganze Staatsformen ändern, wodurch sich auch die Ansichten darüber ändern würden, was Menschen zu verbergen haben - ganz im Gegensatz jedoch zu den weiterhin bestehenden Datenbanken.

Ein Mensch, der glaubt er habe tatsächlich nichts zu verbergen, irrt sich in zweierlei Hinsicht. Zum einen entscheidet nicht er, ob er etwas zu verbergen hat oder nicht, sondern diejenigen, die Machtinstrumente bereits in Händen halten, können darüber entscheiden, gegen wen die eingesetzt werden sollen. Ob man also was verbirgt oder nicht, entscheidet sich immer danach was gerade aktuell als gefährlich, kritisch oder irgendwie verboten definiert wird. Das kann jeden von uns treffen. - Juli Zeh [1]

Ich habe meine politische Meinung zu verbergen

Siehe auch Vermummungsverbot

Weil anonyme Meinungsäusserung ein elementarer Bestandteil unserer Demokratie ist. Politischen Wahlen finden geheim statt, damit es jedem Bürger garantiert wird, ohne Druck von außen frei nach seinem Willen und seiner Meinung abstimmen zu können. Weil Demokratie und gesellschaftliche Weiterentwicklung nur funktioniert, wenn auch diejenigen ihre Meinung äussern können, die dies nicht tun würden, wenn sie von ihrem Umfeld persönlich dafür kritisiert werden würden. Aber auch weil politische Widersacher mich sonst zielgerichtet ausschalten könnten und Amtsträger oder Regime einen Ansgriffspunkt haben, um mich präventiv aus dem politischen Geschehen auszuschliessen, wenn ihnen meine Meinung nicht passt. Und weil ich als linker Aktivist körperlichen Angriffen von Neonazis ausgesetzt bin.

Ich habe meine Intimsphäre zu verbergen

Nichts zu verbergen?
Nichts zu verbergen?

Weil ich sie nur mit meinen vertrautesten Mitmenschen teilen möchte, um ihnen meine Zuneigung auszudrücken. Weil ich unter Beobachtung nicht so leidenschaftlich küssen kann, wie ich es eigentlich gerne tun würde, und weil ich meine Kleidung nicht nur trage, um mich vor Kälte zu schützen, sondern in der Öffentlichkeit bezüglich meines Körpers ein ganz natürliches Bedürfnis nach Diskretion verspüre.

Ich habe meine sexuelle Identität zu verbergen

Siehe auch Überwachung und Homosexualität

Weil ich mit meiner Homo- oder Transsexualität oder meinem speziellen erotischen Neigungen zu einer oft diskriminierten Minderheit gehöre deren öffentlliche Akzeptanz von gesellschaftlichen Stimmungen und derzeitigen politischen Gesetzeslagen abhängig ist, die jederzeit wieder zu meinem Nachteil umschwingen können.

Ich habe begangene Ordnungswidrigkeiten zu verbergen

Eine Ordnungswidrigkeit hat etwa jeder Bürger mindestens einmal begangen. Das Parken in zweiter Reihe, das Entsorgen eines Kaugummis auf dem Gehweg und das Überqueren einer roten Fußgängerampel bei freier Straße sind für eine Gesellschaft erträglich. Hier wurde bisher bewusst ein Spielraum gelassen um die Relationen zwischen der individuellen Freiheit und dem Gemeinwohl zu erhalten. Auch das Ordnungsamt ist beispielsweise angehalten die Bürger möglichst in erster Linie zu ermahnen statt zu bestrafen.
Das vollständige Erfassen und verfolgen aller dieser Ordnungswidrigkeiten würde einen Wechsel bedeuten weg von der Regulierung unserer Gesellschaft, hin zu einer totalitären Gesellschaft.

Ich habe meinen Gesundheitszustand zu verbergen

Weil ich sonst womöglich keine Versicherung mehr finden werde die mich aufnimmt und ich bei Unglücks- oder Krankheitsfällen daher ganz auf mich alleine gestellt sein kann oder weil mich mein soziales Umfeld meiden könnte weil es auf Grund mangelhafter Information Angst vor Ansteckungen hat.

Ich habe meine Handycaps zu verbergen

Weil ich Diskriminierung befürchte oder mit meiner Lese- oder Schreibschwäche womöglich auch dann keine Arbeit finden kann wenn ich dennoch für diese Tätigkeit qualifiziert wäre.

Ich habe mein soziales Netzwerk zu verbergen

Weil mir erhebliche Probleme und Unannehmlichkeiten entstehen können wenn Freunde, Kollegen oder auch nur Bekannte im weitesten Sinne Straftaten begehen oder lediglich im Verdacht dazu stehen.

Beispielsweise wurde dies dem in Deutschland geborenen und aufgewachsenen türkischen Staatsbürger Murat Kurnaz zum Verhängnis. Murat Kurnaz befand sich im Umfeld von Selçuk Bilgin, dem seine Eltern vorgeworfen haben, in Afghanistan gegen die Vereinigten Staaten kämpfen zu wollen. Diese Tatsache führte zu einer Überprüfung des gesamten Umfeldes Bilgins, zu dem auch Kurnaz zählte. Dieser wurde daraufhin von der US-Regierung mehrere Jahre lang in Guantanamo Bay gefangen gehalten und gefoltert, obwohl Beweise für seine Beteiligung an Gewalttaten nicht erbracht wurden.

Ich habe meine Interessen zu verbergen

Weil diese persönlichste Rückschlüsse auf mich zulassen. Aber auch weil dabei schnell Missverständnisse und falsche Schuldzuweisungen entstehen können. Ich kann als krank eingestuft werden wenn ich mich zur Gefahrenprävention in einer Broschüre der Aidshilfe informiere. Ich kann ins Fadenkreuz der Fahnder geraten wenn ich für meine Schularbeit bei Wikipedia Artikel über internationalen Terrorismus aufrufe und ich kann bestraft werden wenn ich über einen falschen Link auf Webseiten mit illegalem Inhalt gelandet bin.

Beispielsweise wurde der deutsche Sozialwissenschaftler Andrej Holm aufgrund seiner Forschung zu Themen der Stadterneuerung lange beschattet und wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung festgenommen da er nach Begriffen wie "Gentrifizierung" recherchierte.[2]

Ich habe meine Informationsquellen zu verbergen

Weil zur Weitergabe vertraulicher Informationen grundsätzlich ein Maximum an Diskretion vorrausgesetzt wird und ich als Journalist nur Missstände enthüllen kann, wenn mir der Informantenschutz gewährleistet bleibt.

Ich habe meine Eigenarten zu verbergen

Weil ich als Freund der kitschiger Schlagermusik womöglich in meinem beruflichen Umfeld nicht mehr ernst genommen werde. Weil meine Kinder darunter leiden dass sie von ihren Mitschülern wegen meiner Leidenschaft für XXX gehänselt werden.

Ich habe meine Herkunft zu verbergen

Weil ich mich vor den in meiner Region häufig verbreiteten ausländerfeindlichen Übergriffen schützen möchte.

Ich habe meine Privatsphäre zu verbergen

Weil das Internet die Fotos von mir und meinen besoffenen Kumpels möglicherweise nie vergessen wird und gegebenenfalls auch dann abrufbereit hält wenn sich ein potentieller Geschäftspartner über mich informieren möchte. Weil ich vielleicht sogar meine Familie vor Widersachern schützen möchte

Ich habe meine Finanzen zu verbergen

Weil auch vorrübergehende finanzielle Schwierigkeiten dazu führen können dass ich keine Wohnung, keinen Kredit oder nicht einmal mehr ein Konto bekommen werde. Oder weil ich bei einer guten finanziellen Situation Neider auf mich aufmerksam machen könnte. Zudem lassen mein Zahlungstransaktionen detailierte Rückschlüsse auf mein Konsumverhalten zu.

Ich habe mein Konsumverhalten zu verbergen

Weil von meinem Lebensmitteleinkäufen durch Systeme wie Kundenkarten auf meinen Gesundheitszustand geschlossen werden kann weswegen sich die Krankenversicherungen sehr dafür interessieren. Ernähre ich mich vorwiegend von Fast Food oder Biogemüse? Kaufe ich täglich eine Schachtel Zigaretten und trinke ich mehr Bier oder mehr Fruchtsäfte?

Ausserdem habe ich meinen Energieverbrauch zu verbergen, weil beispielsweise durch den mittels digitalen Stromzählern erfassten Stromverbrauch meines Haushaltes genau feststellbar ist wann ich zu Hause bin und wann meine Wohnung verlassen ist.

Ich habe meinen Aufenhaltsort zu verbergen

Weil falsche Schlüsse gezogen werden können wenn ich mich in der Nähe einer Anti-Kriegs-Demo aufgehalten habe bei der es am Rande zu Randalen kam.

Weil ich meinem Stalker sonst vollkommen ausgeliefert bin. Weil potentielle Diebe sonst genau darüber bescheid wissen wann sie am besten bei mir zu Hause einsteigen können. Weil ich mich für meine Anwesenheit bei kritisch betrachteten Veranstaltungen oder zu ungewöhnlichen Uhrzeiten vor meinen Mitmenschen nicht rechtfertigen möchte und weil ich auch einfach mal abschalten und für nichts und niemanden erreichbar sein will.

Siehe auch

Links

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