Position von Wolfgang Bosbach

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Schriftwechsel 21.03.2010

Ursprüngliche Nachricht

Datum: 10.03.2010

Betreff: Vorratsdatenspeicherung


Sehr geehrter Herr Bosbach,


Hiermit fordere ich Sie auf, sich gegen die, in Deutschland verfassungswidrige, Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene einzusetzen.

Oft wird dieser Tage von Innenpolitikern und Polizei behauptet, dass man ohne Vorratsdatenspeicherung keine schweren Straftaten mehr aufklären könne.

Dieses ist falsch, denn

- Auch ohne Vorratsdatenspeicherung stehen genügend betrieblich gespeicherte Daten, auf richterliche Anordnung gespeicherte Daten und andere Beweismittel zur Verfügung, um dieselbe Aufklärungsquote zu erreichen.

- Staaten mit Vorratsdatenspeicherung klären nicht mehr Straftaten auf als Staaten ohne Vorratsdatenspeicherung ("Aufklärungsquote").

- Auch in Deutschland hat die Einführung der Vorratsdatenspeicherung am 01.01.2008 die Aufklärungsrate nicht erhöht (2007: 55,0%, 2008: 54,8%).

- In Deutschland wurden 2007 ohne Vorratsdatenspeicherung 84,4% aller in Deutschland registrierten Internetdelikte einschließlich der Verbreitung von Kinderpornografie erfolgreich aufgeklärt. Diese Zahl ist 2008 nicht gestiegen.

- Außer in Deutschland werden weltweit Straftaten erfolgreich ohne Vorratsdatenspeicherung verfolgt, etwa in Belgien, Griechenland, Österreich, Schweden, Rumänien, Kanada und den USA.

- Der Leiter des Max-Planck-Institus für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, Prof. Hans-Jörg Albrecht, erklärte gegenüber dem Spiegel, die Diskussion um Sicherheitslücken und angeblich nicht mehr aufklärbare Straftaten sei "überhaupt nicht nachvollziehbar" und "durch keinerlei Hinweis aus Forschung und Praxis belegt".


Mit freundlichen Grüßen



Antwort

Datum: 19.03.2010

Betreff: Vorratsdatenspeicherung

Sehr geehrter Herr ...,

Herzlichen Dank für Ihr Schreiben vom 10. März 2010 zum Thema Vorratsdatenspeicherung. Ich möchte Ihnen hierzu folgendes mitteilen:

Der Telekommunikationsmarkt hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Dabei haben sich neue Formen der Telekommunikation ergeben, die sich von der festnetzbasierten Sprachkommunikation immer mehr zu mobilen Kommunikationsformen fortentwickeln und dabei immer höhere Marktanteile gewinnen. Profitiert haben davon Verbraucher und Wirtschaft sowie auch staatliche Stellen. Hierbei darf jedoch nicht übersehen werden, dass sich auch das polizeiliche Gegenüber zunehmend auf die neuen Technologien eingestellt und entsprechend ausgerüstet hat. Deshalb ist es heute umso mehr erforderlich, dass die gesetzlich garantierten Kontrollmechanismen zur Überwachung und Beherrschung dieser Techniken über Standards verfügen, die einen zweckgerichteten Einsatz gewährleisten. Dem Staat müssen daher Mittel und Möglichkeiten zur wirksamen Kontrolle der Telekommunikation in allen Fällen, in denen dies erforderlich ist, an die Hand gegeben werden. Dazu gehört auch, dass die Ermittlungsbefugnisse der Sicherheitsbehörden so ausgestattet werden, dass sie auch effizient nutzbar sind.

Gerade in schwierigen Ermittlungsverfahren bei denen Strukturen und Verbindung im Wesentlichen durch die Auswertung der Telekommunikation festgestellt werden können - wie z.B. Ermittlungen im Bereich des Pädophilenrings, Strukturermittlungen zur Aufklärung von OK-relevanten Organisationen, terroristischen Verflechtungen von Islamisten - ist ein Zugriff auf entsprechendes Datenmaterial über einen gewissen Mindestzeitraum dringend erforderlich, um die Beweisführung zu verbessern und entsprechende Ermittlungen zu ermöglichen. Deshalb ist es nach bundesweiter unstrittiger Auffassung der polizeilichen Praxis erforderlich, entsprechende Regelungen zu schaffen, wonach Telekommunikationsunternehmen verpflichtet werden, relevante Verkehrsdaten für Strafverfolgungszwecke aufzuzeichnen.

Beispielsweise war es bis zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung nicht möglich zahlreiche Internetstraftaten aufzudecken. So wurde beispielsweise mit den Personalien einer tatsächlich existenten Person ein Account bei Ebay angelegt und zwei fingierte Aktionen durchgeführt. Die verwendete IP-Adresse war der Arcor AG zugeordnet. Ermittlungen hierzu waren nicht möglich, da die Arcor AG Verkehrsdaten, die nicht zu Abrechnungszwecken dienen, nur zwei Wochen vorrätig hält. Die Anschläge auf den Straßburger Weihnachtsmarkt konnten nicht weiter aufgeklärt werden, da die Verbindungdaten nach drei Monaten gelöscht waren. Ebenso verhielt es sich bei einem Raubdelikt, bei dem es aufgrund der kurzen Speicherfrist nicht möglich war etwaige Mittäter zu identifizieren. Die Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen.

Der Präsident des Bundeskriminalamtes hat bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass ohne den Zugriff auf die Vorratsdatenspeicherung in ca. 80%(!) der 38.000 Fälle im Bereich der IT-Kriminalität im engeren Sinne keine Ermittlungsansätze vorhanden gewesen wären, denn in diesem Kriminalitätsfeldern agieren die Täter fast ausschließlich in elektronischen Netzen und hinterlassen dementsprechend auch nur dort – elektronische - Spuren.

Soweit es in Ihrem Schreiben an meine Kollegin Tillmann (?) wörtlich heißt: „Auch in Deutschland hat die Einführung der Vorratsdatenspeicherung am 01.01.2008 die Aufklärungsrate nicht erhöht“, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir kurzfristig mitteilen könnten, wie hoch die Aufklärungsquote 2008 gewesen wäre, wenn es die auf Vorrat gespeicherten TK-Daten zur Aufklärung von Straftaten nicht gegeben hätte.

Sie schreiben weiter „In Deutschland wurden 2007 ohne Vorratsdatenspeicherung 84,4% aller in Deutschland registrierten Internetdelikte einschließlich der Verbreitung von Kinderpornografie erfolgreich aufgeklärt. Diese Zahl ist 2008 nicht gestiegen.“ Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir in den nächsten Tagen mitteilen könnten, was Sie konkret unter dem Begriff „Internetdelikte“ verstehen. Meinen Sie damit alle strafrechtlich-relevanten Inhalte des Netzes oder meinen Sie damit nur die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (!), die es gegeben hat. Das wäre natürlich ein gigantischer Unterschied.

Der Präsident des Bundeskriminalamtes hat vor wenigen Stunden anhand eines ganz konkreten Einzelfalles des sexuellen Missbrauches und dessen Verbreitung via Internet erklärt, dass eine Strafverfolgung nur dann möglich ist, wenn die IP-Adresse des entsprechenden Internetauftrittes als Ermittlungsansatz benutzt werden kann. Dies ist der Natur der Sache nach nur dann möglich, wenn die IP-Adresse auch gespeichert wird, andere Ermittlungsansätze hat die Polizei nicht. Wenn diese IP-Adresse allerdings nicht gespeichert wird, weil diesbezüglich keine Speicherpflicht mehr besteht, welche Ermittlungsmöglichkeit hat Ihrer Überzeugung nach das Bundeskriminalamt ansonsten?

Ihrer Stellungnahme sehe ich mit Interesse entgegen und verbleibe

mit freundlichen Grüßen Ihr Wolfgang Bosbach MdB

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[Anmerkungen]

"Die Anschläge auf den Straßburger Weihnachtsmarkt konnten nicht weiter aufgeklärt werden, da die Verbindungdaten nach drei Monaten gelöscht waren." - Die Täter sind auch ohne Vorratsdatenspeicherung überführt und verurteilt worden. Quelle

Zu den weiteren Fällen sind die Einzelheiten nicht bekannt, so dass ein Einfluss der Vorratsdatenspeicherung auf den Verfahrensausgang nicht ersichtlich ist.

Die bundesweite Aufklärungsquote bei über das Internet begangenen Straftaten liegt für das Jahr 2009, ab dem Internetzugangsanbieter IP-Adressen auf Vorrat speichern mussten, noch nicht vor. Jedoch liegen die Zahlen für das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen vor: 2007 betrug die Aufklärungsquote 84,0 %, 2008 76,9 %, nach Einführung der Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2009 77,3 %. Eine statistisch signifikante Auswirkung der Vorratsdatenspeicherung ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich. In jedem Jahr waren Internetdelikte weitaus häufiger aufzuklären als sonstige Delikte (durchschnittliche Aufklärungsquote etwa 50%).

Rückantwort

Datum: 02.04.2010

Sehr geehrter Herr Bosbach,


Herzlichen Dank für Ihr Antwortschreiben vom 19. März 2010 zum Thema Vorratsdatenspeicherung.

Darin schreiben Sie, "Die Anschläge auf den Straßburger Weihnachtsmarkt konnten nicht weiter aufgeklärt werden, da die Verbindungdaten nach drei Monaten gelöscht waren."

Die Täter sind auch ohne Vorratsdatenspeicherung überführt und verurteilt worden. Zu den weiteren Fällen sind die Einzelheiten nicht bekannt, so dass ein Einfluss der Vorratsdatenspeicherung auf den Verfahrensausgang nicht ersichtlich ist.


Sie schreiben, "Soweit es in Ihrem Schreiben an meine Kollegin Tillmann (?) wörtlich heißt: „Auch in Deutschland hat die Einführung der Vorratsdatenspeicherung am 01.01.2008 die Aufklärungsrate nicht erhöht“, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir kurzfristig mitteilen könnten, wie hoch die Aufklärungsquote 2008 gewesen wäre, wenn es die auf Vorrat gespeicherten TK-Daten zur Aufklärung von Straftaten nicht gegeben hätte."

Da die Vorratsdatenspeicherung am 01.01.2008 eingeführt wurde, wurde die Aufklärungsquote hier mit dem Vorjahr 2007 verglichen in dem noch keine Vorratsdatenspeicherung stattfand. "Auch in Deutschland hat die Einführung der Vorratsdatenspeicherung am 01.01.2008 die Aufklärungsrate nicht erhöht (2007: 55,0%, 2008: 54,8%)."


Desweiteren schreiben Sie, "Sie schreiben weiter „In Deutschland wurden 2007 ohne Vorratsdatenspeicherung 84,4% aller in Deutschland registrierten Internetdelikte einschließlich der Verbreitung von Kinderpornografie erfolgreich aufgeklärt. Diese Zahl ist 2008 nicht gestiegen.“ Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir in den nächsten Tagen mitteilen könnten, was Sie konkret unter dem Begriff „Internetdelikte“ verstehen. Meinen Sie damit alle strafrechtlich-relevanten Inhalte des Netzes oder meinen Sie damit nur die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (!), die es gegeben hat. Das wäre natürlich ein gigantischer Unterschied."

Hier sind die registrierten, zur erfolgreichen Aufklärung gekommenen Fälle gemeint.


Sie schreiben, "... Wenn diese IP-Adresse allerdings nicht gespeichert wird, weil diesbezüglich keine Speicherpflicht mehr besteht, welche Ermittlungsmöglichkeit hat Ihrer Überzeugung nach das Bundeskriminalamt ansonsten?"

In den USA kommt eine “Quick Freeze” genannte Praxis zum Tragen. Diese wird in begründeten Verdachtsfällen eingesetzt: Auf richterlichen Beschluss erfolgt dann eine Sicherung der Telekommunikationsdaten des jeweiligen Verdächtigen. Es kommt also zu einer individuellen, anlassbezogenen Speicherung, im Gegensatz zur VDS in der EU, welche kollektiv und anlasslos ist. Der Nutzen ist praktisch der gleiche, allerdings ist der Grundrechtseingriff deutlich geringer.


Mit freundlichen Grüßen,


Antwort auf Rückantwort

Datum: 3.5.2010

Sehr geehrter Herr ...,

in obiger Sache beziehe ich mich auf Ihre e-mail vom 2.4.2010 und nehme gerne zu den von Ihnen angesprochenen Themen noch einmal kurz Stellung.

Bzgl. des Strafverfahrens zum Tatkomplex „Straßburger Weihnachtsmarkt“ schreiben Sie wörtlich „Die Täter sind auch ohne Vorratsdatenspeicherung überführt und verurteilt worden“. Sehr geehrter Herr ..., woher nehmen Sie die Gewissheit bei dem Wörtchen „die“? Woher wissen Sie, dass es nicht weitere Tatbeteiligte gegeben hat? Es sind Täter verurteilt worden, aber ob es noch weitere (Mit-)Täter, Anstifter oder Gehilfen gegeben hat, das wissen wir leider nicht. Anders formuliert: Es sind diejenigen verurteilt worden, denen man die Tat nachweisen konnte, ob es weitere Tatbeteiligte gab, ist nicht (mehr) aufklärbar gewesen. Allerdings wissen wir aus leidvoller Erfahrung, dass der internationale Terrorismus nicht nur hochkommunikativ sondern auch hochkonspirativ ist und gerade dies war ja ein wesentlicher Grund dafür, dass die EU die von Ihnen kritisierte Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verabschiedet hat. Aus Gründen, die ich sicherlich nicht näher erläutern muss, haben unsere Strafverfolgungsbehörden ein überragendes Interesse daran, nicht nur einzelne Täter zu fassen und vor Gericht zu stellen, sondern terroristische Strukturen in Gänze aufzudecken, damit auch die Drahtzieher, die Hintermänner, die Anstifter, die Gehilfen usw. überführt und abgeurteilt werden können.

Ein Hinweis auf Aufklärungsquoten 2007 und 2008 helfen nun wirklich – nicht – weiter, denn Erkenntnisse aus diesem Vergleich im Hinblick auf die VDS könnte man ja nur dann zeihen, wenn 2008 exakt die gleichen Straftaten begangen worden wären wie 2007! Unterschiedliche Straftaten führen immer zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen bei den Aufklärungsquoten und das hat mit dem Thema VDS nun wirklich – nichts – zu tun. In aller Kürze: Beim Ladendiebstahl haben wir immer eine 100%-ige Aufklärungsquote, denn wenn der Ladendiebstahl entdeckt worden ist, ist der Täter zeitgleich überführt. Dasselbe gilt für die Beförderungserschleichung, also das sog. Schwarzfahren. Wenn man hier verstärkt kontrolliert, schnellt die Aufklärungsquote immer nach oben. Ein anderes Beispiel: Wenn es keine diesbzgl. Fahndungen mehr gibt, sinkt die Drogenkriminalität erheblich – allerdings nur statistisch, denn wenn keine Straftaten statistisch erfasst werden, kann es auch keine Nicht-Aufklärung geben – natürlich nur statistisch.

Das von Ihnen erwähnte „Quick-Freeze“ Verfahren ist bestens bekannt und war bereits mehrfach Gegenstand politischer Erörterungen und der Präsident des Bundeskriminalamtes hat ja vor dem Bundesverfassungsgericht diesbzgl. ausgesagt, dass dieses Verfahren nur in 17% (!) aller relevanten Delikte zur Tataufklärung hätte beitragen können. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Quick-Freeze in 83% der relevanten Fälle völlig untauglich gewesen wäre.

Sehr geehrter Herr ..., ich bitte Sie um Beantwortung folgender Frage: Wenn Straftaten nur mit Hilfe der Auswertung von TK-Daten aufgeklärt werden können, diese aber nicht oder nicht mehr zur Verfügung stehen, wie kann die Polizei dann derartige Straftaten aufklären, die Täter überführen und dafür sogen, dass die Opfer entschädigt werden? Anders formuliert: Wenn die Polizei überhaupt keine anderen Ermittlungsansätze hat, wie soll sie dann – was ihre originäre Aufgabe ist – derartige Straftaten aufklären?

Sehr geehrter Herr ..., die Beantwortung dieser entscheidenden Frage ist für mich von wirklich großer Bedeutung und hierfür müssen Sie auch keine langen Ausführungen machen, 2 oder 3 Sätze würden schon genügen.

Mit freundlichen Grüßen Ihr Wolfgang Bosbach MdB


Antwort

Datum: 23.6.2010

Sehr geehrter Herr Bosbach,

Herzlichen Dank für Ihr Schreiben vom 3. Mai 2010 zum Thema Vorratsdatenspeicherung.

Darin schreiben Sie, "Wenn die Polizei überhaupt keine anderen Ermittlungsansätze hat, wie soll sie dann – was ihre originäre Aufgabe ist – derartige Straftaten aufklären?"

Auch ohne die Vorratsdatenspeicherung stehen bei den TK-Anbietern genügend betrieblich gespeicherte Daten zur Verfügung um Straftaten aufklären zu können. Ein Sonderfall sind hier Flatrate-Zugänge, da TK-Anbieter bei diesen wohl teilweise keine auswertbaren Daten speichern und somit auch kein Zugriff darauf möglich ist. Daher wäre es meiner Meinung nach eine Idee, dieses Zugangsmodell an die für Abrechnung gängigen Speicherfristen der Zeit/Volumen-Zugänge zu koppeln.

Des weiteren muss dringend definiert werden, bei welchen Straftaten ein Zugriff auf diese Daten überhaupt erlaubt sein soll.


Mit freundlichen Grüßen

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