Volkszaehlung/boykottrecht 2 qs 36/88
Aufruf zum Volkszählungsboykott
StGB §§303, 111
Zu den Voraussetzungen einer Aufforderung i. S. des § 111 StGB. (Leitsatz der Redaktion)
LG Koblenz, Besohl, v. 18. 4. 1988 - 2 Qs 36/88
Zum Sachverhalt:
Der Angeschuldigten wird im vereinfachten Jugendverfahren zur Last gelegt, am 30. 5. 1987 in Koblenz öffentlich durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat, nämlich zur Begehung von Sachbeschädigungen, aufgefordert zu haben, indem sie am Tattage anläßlich einer Demonstration der „Bürgerinitiative zur Volkszählung im nördlichen Rheinland-Pfalz" mehrere Flugblätter an Teilnehmer der Demonstration und Passanten verteilte, die u. a. folgenden Inhalt haben: „Alle Bögen sind schon da, alle Bögen alle, Haushalts-, Mantel-, Wohnungsdinger, kriegt kein Zähler in die Finger, denn sie wer'ri von uns zerknüllt und dann in den Müll gefüllt." Neben diesem Text ist auf dem Flugblatt eine Figur abgebildet, die ein Blatt Papier zerreißt. Im Zusammenhang damit ist das Wort „Ratsch!" abgedruckt. Weiter wird in dem Flugblatt ausgeführt: „Schnipp-Schnipp-Schnapp da war die Nummer ab." Durch den angefochtenen Beschluß hat das AG Neuwied die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts abgelehnt. Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der StA hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
Die sofortige Beschwerde ist gem. § 210 II StPO zulässig, aber unbegründet. Zutreffend hat das AG die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, denn die Angeschuldigte ist der ihr zur Last gelegten Straftat nicht hinreichend verdächtig.
Es besteht zwar ein hinreichender Verdacht, daß die Angeschuldigte die ihr vorgeworfenen Handlungen - das Verteilen der Flugblätter - begangen hat. Die Zeugen W und E haben bekundet, daß sie gesehen haben, wie die Angeschuldigte die Flugblätter an die Dernonstrationsteilnehmer verteilte. Die der Angeschuldigten vorgeworfene Handlung ist jedoch nicht strafbar. Die von der Angeschuldigten verteilten Flugblätter enthielten keine Aufforderungen zu Straftaten (§111 StGB). Dem auf den Flugblättern verwendeten Text kommt nicht der Charakter einer Aufforderung zu. Eine Aufforderung i. S. des § 111 StGB ist eine bestimmte, über eine bloße Befürwortung hinausgehende, sich aus der Schrift ergebende Erklärung, daß andere etwas tun oder unterlassen sollen (vgl. Dreher, StGB, 43. Aufl., §111 Rdnr. 2 m. w. Nachw.). Eine nur allgemeine Befürwortung bestimmter Taten oder schädlicher Folgen oder die nur psychische Unterstützung eines fremden Tatentschlusses genügen jedoch nicht. Notwendig ist vielmehr eine Einwirkung auf andere Personen mit dem Ziel, in ihnen den Entschluß hervorzurufen, strafbare Handlungen zu begehen (vgl. KG, StrVert 1981, 525). Eine Aufforderung kann ausdrücklich oder durch schlüssige Handlung geschehen, auch durch Überredung oder Raterteilung. Nicht ausreichend ist jedoch das bloße Anreizen zur Fassung des Tatentschlusses, also eine Beeinflussung, die den „Angereizten" kraft eigenen Entschlusses zum Handeln bringt (vgl. OLG Köln, MDR 1983, 338).
Der Text des Flugblattes „Schnipp-Schnipp-Schnapp - da war die Nummer ab" und der Liedtext ,,Alle Bögen sind schon da ..." in Verbindung mit der Zeichnung und dem Wort „Ratsch!" ist jedoch lediglich als ein bloßes Anreizen zu einer Beschädigung oder Vernichtung der Volkszählungsbögen zu qualifizieren.
Aus dem Wortlaut des Textes ergibt sich lediglich die Befürwortung einer derartigen Vorgehensweise. Es läßt sich daraus aber nicht entnehmen, daß bei dem Leser des Flugblattes der Entschluß zur Vernichtung der Erhebungsbögen zur Volkszählung 1987 oder zur Beschädigung derselben durch Abschneiden der Kennziffern hervorgerufen werden soll. Die Leser des Flugblattes werden weder zu einer derartigen Handlungsweise ,, aufgerufen" noch wird ihnen der informatorische „Ratschlag" erteilt, die Heftnummern aus den Bögen herauszuschneiden (so aber bei OLG Köln, NJW 1988, 1102 und OLG Celle] NJW 19.88, 1101). Der Text des Flugblattes bringt lediglich das Einverständnis mit dem Beschädigen oder Vernichten der Erhebungsbögen zum Ausdruck. Dieses bloße Gutheißen ist jedoch nicht mit einer Aufforderung gleichzusetzen. Die Erklärung, eine Handlung sei begrüßenswert, notwendig oder unvermeidbar, ist, wenn in ihr nicht die Kundgebung liegt, einen anderen-zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen bringen zu wollen, keine Aufforderung, sondern lediglich die Befürwortung dieser Handlung (vgl. BGHSt 32, 310 - NJW 1984, 1631). Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, daß die "Flugblätter während der Demonstration „Bürgerinitiativen zur Volkszählung im nördlichen Rheinland-Pfalz" verteilt wurden. Denn die Aufforderung muß sich ausdrücklich aus der Schrift selbst ergeben, da mit § 111 StGB gerade die besondere Gefährlichkeit der Schriftverbreitung unter Strafe gestellt werden sollte. Deshalb verbietet sich die Heranziehung von Umständen, die außerhalb des Inhalts der Schrift liegen, wenn diese - wie im vorliegenden Fall - nicht selbst hinreichende Äußerungen enthält (vgl. LG Berlin, StrVert 1982, 472).