Volkszaehlung/boykottrecht 3 ss 214/87
Aufruf zum Entfernen der Kennziffern auf den Volkszählungsbögen
StGB §§ 111, 303; BStatG §§ 14, 10; VZG § 13 IV
In dem Aufruf zum Entfernen der Kennziffern von den Volkszählungsbögen liegt die Aufforderung zu einer nach § 303 StGB strafbaren Sachbeschädigung. (Leitsatz der Redaktion)
OLG Celle, Urt. v. 20. 1. 1988-3 Ss 214/87 i „,
Zum Sachverhalt:
Die Angekl. zeichnete presserechtlich verantwortlich für ein Flugblatt, in welchem zum Boykott der Volkszählung aufgerufen wurde. Sie rief dabei zur Verweigerung der Auskunft auf, da die nicht strafbar sei.
Die Angekl. hat den Artikel vor der Veröffentlichung zur Kenntnis genommen, gebilligt und mindestens billigend in Kauf genommen, daß die Teilnehmer des Ostermarsches, unter denen das Flugblatt verteilt werden sollte, den „Tip" zum Herausschneiden der Heftnummern und zur Abgabe der leeren Fragebögen bei Sammelstellen ernst nehmen würden. Das AG hat hierin entgegen der Ansicht der StA lediglich eine öffentliche Aufforderung zu Ordnungswidrigkeiten (§ 116 OWiG), nicht aber eine Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) gesehen. Die mit einer Geldbuße bedrohte Handlung, so meint das AG, folge aus §§23 l III i.V. mit §15 12, II und IV l BStatG, § 12 Volkszählungsgesetz 1987 (VZG). Die Voraussetzungen des § 111 StGB i. V. mit § 303 StGB hat das AG deshalb für nicht gegeben erachtet, weil das Abschneiden der Heftnummer eines Volkszählungsbogens keine Sachbeschädigung darstelle. Beide Revisionsführer rügten die Verletzung sachlichen Rechts. Die StA sieht in dem Abschneiden der Heftnummer eines Volkszählungsbogens eine Sachbeschädigung gem. § 303 StGB. Die Angekl. vertritt die Ansicht, es liege keine Aufforderung i. S. des § 116 OWiG vor. Im übrigen enthalte das Volkszählungsgesetz keine mit einem Bußgeld bewehrte Vorschrift, die im Falle einer Auskunftsverweigerung gelten solle. Die durch dieses Gesetz angeordnete Volkszählung sei keine Statistik i. S. des Bundesstatistikgesetzes, so daß die §§ 15, 23 BStatG keine Anwendung fänden.
Die Revision der StA hatte Erfolg. Das Rechtsmittel der Angekl. war unbegründet.
Aus den Gründen:
I. Zur Revision der StA: Gegen die Bejahung einer Aufforderung — und zwar zu Straftaten; der Tatbestand des § 116 OWiG entspricht insoweit demjenigen des § 111 StGB (vgl. Göhler, OWiG, 8. Aufl., § 116 Rdnr. 3) - durch Verbreiten einer Schrift ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
Der Aufforderungscharakter der am 20. 4. 1987 verteilten Flugschrift tritt besonders in dem Satz
„Wer sich vorgenommen hat, diese Zwangserhebung zu stören bzw. zu boykottieren, sollte es also lieber gleich richtig tun."
sowie in folgendem Absatz zutage:
„In fast jedem Stadtteil gibt es eine Volkszählungsinitiative (s. Adressenteil). Diese Initiativen sind Sammelstellen für leere Fragebögen. Vorher müssen jedoch die Heftnummern von Personen- und Wohnungsbögen herausgeschnitten werden. Damit ist der Empfanger nicht mehr identifizierbar. Die Initiativen beraten gern über die weiteren Schritte."
Er wird aber auch dadurch deutlich, daß in dem Flugblatt u. a. gesagt wird:
„Es folgt sehr viel später ein Verfahren vor dem Amtsgericht -oder auch nicht, wenn genug Leute bis dahin mitgemacht haben . . . Ähnlich wie in Berlin ist auch hier eine aus diesen „Erkenntnissen" gewonnene Boykottdatei zu erwarten, die allerdings umso wertloser wird, je mehr Bürgerinnen und Bürger in ihr erfaßt sind".
Das alles kann nur als Aufforderung dahin verstanden werden, möglichst viele Personen sollten sich nach den „Tips" richten, u. a. also auch die Heftnummern herausschneiden. Es Jiandelt sich nicht etwa nur um eine bloße Befürwortung von Boykottmaßnahmen. Nicht zu folgen ist jedoch der vom Ag. vorgenommenen Würdigung, daß nur zu Ordnungswidrigkeiten (§§ 116 OWiG, 23 BStatG), nicht aber zu Straftaten (§§111, 303 StGB) aufgerufen worden sei. Das Flugblatt fordert zu Sachbeschädigungen gem. § 303 StGB auf - andere Straftaten kommen ersichtlich1 nicht in Betracht; von einer Urkundenfälschung z.B. ~wird in dem Flugblatt ausdrücklich abgeraten.
Bei den Volkszählungsbögen handelt es sich um fremde Sachen, wie zu Recht in allen bisher dem Senat bekannt gewordenen einschlägigen Entscheidungen anerkannt wird (vgl. z. B. LG Bonn, NJW 1987, 2825; LG Trier, NJW 1987, 2826 einerseits; andererseits LG Lübeck, StrVert 1987, 298; LG Koblenz, NJW 1987, 2828; LG Hannover, Beschl. v. 19. 8. 1987 - 49 Qs 99/87). Die Erhebungsbögen sind Eigentum des Staates geblieben. Unbeachtlich ist, daß der einzelne Bogen einen nur geringen materiellen Wert verkörpert (LG Bonn, NJW 1987, 2825; LG Trier, NJW 1987, 2826; Dreher-Tröndle, StGB, 43. Aufl., § 303 Rdnr. 2; Wolff, in: LK, 10. Aufl., §303 Rdnr. 2; Gössel, JR 1980, 184ff). Diese fremden Sachen würden durch Herausschneiden der Heftnummern i. S. des § 303 StGB beschädigt.
Eine Sache ist besehädigt, wenn
1. entweder ihre Substanz nicht unerheblich verletzt oder
2. auf sie körperlich derart eingewirkt wird, daß dadurch ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit nicht nur geringfügig beeinträchtigt wird (BGHSt 13, 207 = NJW 1959, 1547; BGHZ 29, 129 = NJW 1980, 350; NStZ 1982, 508; Gössel, JR 1980, 184; Wolff, in: LK, § 303, Rdnr. 5 m. w.Nachw.; Stree, in: Schönke-Schröder, StGB, 22. Aufl., §303 Rdnr. 8). Hier läge im Falle des Herausschneidens der Heftnummern schon eine relevante Substanzverletzung des Erhebungsbo-gens vor - so daß auf die Frage der Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit nicht mehr eingegangen zu werden braucht. Denn ein Abschneiden der Heftnummer bedeutete einen erheblichen Eingriff in die Substanz des Bogens: Ein wesentlicher Teil des Bogens, der in sachlichem Zusammenhang mit der Volkszählung steht, würde durch die Abtrennung beseitigt werden.
Die Kenn- und Heftnummer ist eine Zahlenfolge, die sowohl auf dem sogenannten Wohnungs- als auch dem sogenannten Per-sonenbogen aufgedruckt und von dort auf den zugehörigen Mantelbogen handschriftlich übertragen wird. Sie wird für jeden Haushalt individuell vergeben, so daß Wohnungs-, Personen-und Häushaltsmantelbogen jeweils Unikate sind.
Die Heftnummer erfüllt mehrere Aufgaben: Sie dient sowohl der technischen Durchführung von Statistiken als auch der statistischen Auswertung, ist also für die Hilfs- und die Erhebungsmerkmale gem. §§ 4 bis 8 VZG gleichermaßen wichtig.
1. Da sie durch ihre Übertragung auf den Häushaltsmantelbogen die einzige Verbindung zwischen den Personen und ihren Angaben herstellt, wird eine Kontrollmöglichkeit dafür geschaf- fen, wer die Bögen erhalten hat und ob sie wieder zurückgelangt sind. Gleichzeitig wird gewährleistet, daß gezielte Rückfragen bei Eingang von Fragebögen mit fehlenden oder widersprüchlichen Angaben erfolgen können. Den mit der Heftnummer verfolgten Kontrollzweck kann die Verwaltungsbehörde bei einem abgeschnittenen Bogen nur mit einem beträchtlichen Aufwand an Zeit und Kosten erreichen. Dies gilt selbst dann, wenn der Bogen nicht ausgefüllt worden ist. Auch um diesen nicht geringfügigen Aufwand zu vermeiden, ist die Heftnummer entwickelt und aufgebracht worden (vgl. LG Hildesheim, Beschl. v. 26. 6. 1987 - 12 Qs 96/87; LG Hannover, Beschl. v. 17. 7. 1987 - 46 Qs 115/87).
2. Die Heftnummer stellt auch den notwendigen statistsichen Zusammenhang zwischen den Personen und ihren Angaben über Haushalt und Wohnung her. Außerdem wird sie in sogenannte Regionallisten eingetragen, um den Einzelangaben später bei der maschinellen Aufbereitung in den statistischen Landesämtern die zugehörigen Regionalangaben hinzufügen zu können (vgl. LG Hannover, a.a.O.; Engelage, NJW 1987, 2801; Schenke, NJW 1987, 2777). Ohne die Heftnummer fehlt die Möglichkeit, die Erkenntnisse und Zusammenhänge z. B. in regionaler Hinsicht statistisch zu erfassen und auszuwerten. Nachfolgede Stichproben, die spätere Totalerhebungen ersetzen könnten, wären nicht möglich (vgl. LG Hannover, Beschl. v. 26. 8. 1987-32 Qs 71/87; Schenke, NJW 1987, 2777).
Bei der Frage der Erheblichkeit der Substanzverletzung muß unberücksichtigt bleiben, ob der Auskünftspflichtige "sowieso keine Auskunft geben will und lediglich als weitere Konsequenz seines Boykotts die Heftnummer von dem leeren Bogen abschneidet. Entscheidend ist nicht der Wille des „Boykotteurs" für die Frage einer Sachbeschädigung, sondern das Interesse des Eigentümers, d. h. des Staates, an einem unversehrten Bogen, weil der Staat der Heftnurnmer die oben geschilderten verschiedenen Bedeutungen beigelegt hat. Nur im Falle der Unversehrtheit ist der Fragebogen uneingeschränkt verwendungsfähig.
Die Annahme einer Sachbeschädigung scheitert auch nicht daran, daß der Bogen lediglich als „Medium" für die Volkszählung bezeichnet wird, an dem eine Sachbeschädigung nur möglich ist, wenn er ordnungsgemäß ausgefüllt und zurückgesandt worden ist (so aber LG Koblenz, NJW 1987, 2828 = StrVert 1987, 443). Daß eine Sache nur Mittel zum Zweck ist und nicht ihren Zweck in sich selbst findet, kommt häufiger vor und kann niemals die Frage berühren, ob im ersteren Fall überhaupt eine Sachbeschädigung gegeben ist. Sonst läge z. B. in dem Überkleben eines Wahlplakats niemals eine Sachbeschädigung i. S. des § 303 StGB - der Zweck des Plakats liegt ersichtlich nicht in dem Plakat selbst. Das Überkleben ist aber nach höchstrichterlicher Rechtsprechung strafbar (vgl. BGH, NStZ 1982, 508 m. w. Nachw.).
Die Erheblichkeit der Sachbeschädigung wird ferner nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Bogen durch Zeitablauf möglicherweise wertlos wird. Eine einmal eingetretene Sachbeschädigung bleibt eine solche. Sie ist selbst dann noch zu bejahen, wenn die Substanzverletzung beseitigt und der frühere Zustand wiederhergestellt wird (RGSt43, 204; OLG Hamburg, NJW 1979, 1614; Gössel, JR 1980, 184); so wird das Überkleben eines Wahlplakats während des Wahlkampfs auch noch nach der Wahl als eine Straftat i. S. des § 303 StGB angesehen: BGH, NStZ 1982, 508).
Daraus, daß erst nach der offiziellen Zustellung eines zweiten Bogens, verbunden mit einem Heranziehungsbescheid, ein Bußgeld verhängt werden kann, ergibt sich nichts anderes. Die Zustellung des zweiten Bogens kann aus den bereits genannten Gründen die schon am ersten Bogen eingetretene Sachbeschädigung nicht mehr berühren. Die Zustellung dient im übrigen nur dem Nachweis, daß der Auskunftspflichtige einen Bogen erhalten hat, um ein Bußgeldverfahren gegen ihn einleiten zu können. Der entgegenstehenden Auffassung des LG Göttingen (NStZ 1987, 557) folgt der Senat nicht.
Das Vorliegen einer Sachbeschädigung kann entgegen der im angefochtenen Urteil geäußerten Ansicht schließlich auch nicht mit der Erwägung verneint werden, der Gesetzgeber habe das Nichtbefolgen der Volkszählung ausschließlich in den §§ 15, 23 BStatG geregelt. Diese Vorschriften befassen sich nur mit der Weigerung, der Auskunfispßicht aus § 12 VZG nachzukommen. Eine daneben mögliche Sachbeschädigung oder andere strafbare Handlungen, die im Zusammenhang mit der Volkszählung denkbar sind, werden hingegen dort nicht angesprochen, bleiben aber dennoch Straftaten (wie z. B. Unterschlagung, Urkundenfälschung oder Urkundenunterdrückung; auch die Verletzung des Verwendungsverbots aus §§ 9 II, 10IV, 14III VZG ist im Volkszählungsgesetz oder Bundestatistikgesetz nicht mit einer Sanktion belegt, erfüllt aber doch den Straftatbestand der §§ 203, 204 StGB oder verstößt gegen einzelne Landesdatenschutzgeset-ze).
Im übrigen ist das Volkszählungsgesetz verfassungskonform und daher für alle Bürger verbindlich. Das ist ganz überwiegend anerkannt (BVerfG, NJW 1987, 1689; 2805; OVC Lüneburg, NJW 1987, 2834; VGH Mannheim, NJW 1987, 1716; 1717; 2833; VGH München, NJW 1987, 2831; Schenke, NJW 1987, 2777: Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, BT-Dr 107 6816, S. 45; a. A. Hauck-Scholz, NJW 1987, 2769) und entspricht auch der Auffassung des Senats. Es liegt mithin eine öffentliche Aufforderung zu Sachbeschädigungen jedenfalls in objektiver Hinsicht vor.
Der Senat konnte aber noch nicht abschließend entscheiden. Zunächst ist im Hinblick auf die subjektive Tatseite Aufhebung und Zurückverweisung geboten. Es besteht die Möglichkeit, daß die Angeld, der - irrigen - Annahme war, das Verhalten, zu dem sie aufgefordert hat, nämlich das Abschneiden der Heftnummern, sei keine Sfro/tat. Diese Annahme könnte den Vorsatz berühren (so Eser, in: Schönke-Schröder, § 111 Rdnr. 16; a. A. Dreher-Tröndle, § 111 Rdnr. 8 unter Bezugnahme auf RGSt 39, 342 (!) und OLG Braunschiveig, NJW 1953, 714, das sich wiederum auf diese SG-Entscheidung bezieht). Nach der Auffassung des Senats betrifft sie aber lediglich das Unrechtsbewußtsein und kann nur einen Verbotsirrtum begründen (so Hörn, in: SKStGB, § 111 Rdnr. 7; v. Bubnoff, in: LK, § 111 Rdnr. 30; Dreher, in: Festschr. f. Callas, S. 327; Preisendanz, StGB, 30. Aufl., § 111 Anm. 7). Kommt ein Verbotsirrtum (vgl. dazu Urteil des hiesigen i. Strafsenats, NJW 1987, 78) in Betracht, so wird das Tatgericht weiter zu prüfen haben, ob er für die Angekl. unvermeidbar oder vermeidbar war (§ 17 StGB).
Ferner teilt das angefochtene Urteil nicht mit, ob die Aufforderung befolgt worden (§1111 StGB) oder ohne Erfolg geblieben ist (§ 111II StGB). Das aber ist für den Strafrahmen tntscheidend.
II. Zur Revision der Angekl.: Ist die Revision der StA nach allem begründet, so kann die Revision der Angekl. keinen Erfolg haben. Sie war deshalb mit der Kostenfolge aus § 4731 StPO zu verwerfen.
(Mitgeteilt von Richter am OLG Dr. H. Deckwirth, Gelle)
Anm. d. Schriftltg.: Ebenso OLG Köln, NJW 1988, 1102 (in diesem Heft). Vgl. auch Frister, NJW 1988, 954 als Erwiderung zu Engelage, NJW 1987, 2801 sowie zur Verfassungsmäßigkeit der Volkszählung 1987 BVerfG, NJW 1988, 961; 962.