Volkszaehlung/boykottrecht 9 qs 127/87

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Beschlagnahme von Flugblättern

StPO §§lllb, nie, llle, lllm, Hin; StGB §§74d, 303

Der Aufruf zum Volkszählungsboykott stellt keine Aufforderung zu einer Straftat dar. (Leitsatz der Redaktion)

LG Koblenz, Beschl. v. 13. 7. 1987 -9Qs 125/87 (nicht rechtskräftig)

Zum Sachverhalt:

Auf Antrag der StA hat der Ermittlungsrichter bei dem AG Koblenz am 15. 5. 1987 die Durchsuchung der Wohnung etc. des-Beschuldigten und die Beschlagnahme der Auflage des Flugblattes „Volkszählung 87" sowie der zu seiner Herstellung gebrauchten und bestimmten Vorrichtungen zu Beweiszwecken angeordnet. Darüber hinaus hat er am gleichen Tage die Beschlagnahme dieses Flugblattes gem. §§lllb, llle, llle, lllm, Hin StPO, 74d StGB angeordnet. Aufgrund des erstgenannten Beschlusses ist am 15. 5. 1987 die Wohnung des Beschuldigten durchsucht worden. Gegen die Durchsuchung hat er an Ort und Stelle „Widerspruch" erhoben. Exemplare der der Beschlagnahmeanordnung unterfallenden Flugschrift „Volkszählung 87" sind nicht aufgefunden"worden, wohl aber in dem Personenkraftwagen des Beschuldigten 600 Flugblätter identischen Textes, die allerdings die Überschrift „Informationen der Volkszählungskritiker Neuwied Volkszählung 87" tragen. Wegen dieser Flugblätter ist bei'der StA Koblenz ein gesondertes Ermittlungsverfahren anhängig.

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen die allgemeine Beschlagnahme des Flugblattes „Volkszählung 87" hatte Erfolg.

Aus den Gründen:

... Eine Einziehung in einem späteren Strafverfahren kommt nicht in Betracht, weil von der Verwirklichung des Straftatbestandes des § 111 StGB i.V. mit § 303 StGB (öffentliche Aufforderung zur Sachbeschädigung) die Kammer nicht ausgehen kann.

Es dürfte zwar eine öffentliche „Aufforderung" i. S. des § 111 StGB vorliegen, weil in der Passage des Flugblattes ,, In der Zwischenzeit können Sie an dem Bogen die Kennzahl abschneiden und den leeren Bogen bei der unten angegebenen Adresse der Initiative Neuwied abgeben" eine anstiftungsähnliche Aufforderung, die über die allgemeine Billigung von Straftaten hinausgeht, zu sehen ist. Es wird aber nicht zu einer Straftat, nämlich einer Sachbeschädigung i. S. des § 303 StGB „aufgefordert".

§ 303 StGB, ein Antragsdelikt, stellt den unter Strafe, der eine . fremde Sache beschädigt oder zerstört, worunter nach der allgemein gültigen Definition „jede nicht ganz unerhebliche körperliche Einwirkung auf die Sache . . ., durch die die stoffliche Zusammensetzung der Sache verändert oder sonst ihre Unversehrtheit derart aufgehoben wird, daß die Brauchbarkeit für ihre Zwecke vermindert wird" (vgl. RGSt 74, 13 [14]) verstanden wird.

Bei den Erfassungsbögen handelt es sich zunächst zweifelsfrei um „Sachen", an denen grundsätzlich eine Sachbeschädigung begangen werden kann. Das wird nämlich nach h. M. nur für solche Sachen verneint, denen jeder Wert abgeht (vgl. Wolff, in: LK, 10. Aufl. [1978], § 303 Rdnr. 2). Davon kann hier nicht ausgegangen werden, denn der einzelne Bogen verkörpert einen wenn auch geringen Sachwert (a. A. wohl LG Lübeck, Beschl. v. 18. 5. 1987 - 4 Qs 143/87). Es handelt sich auch um eine „fremde" Sache. Daß diese Bögen dem Rechtsunterworfenen übereignet worden sein könnten, wie verschiedentlich argumentiert wird, hält die Kammer für abwegig. Die Erhebungsstelle gibt dem Bürger vielmehr diese Bögen an die Hand, damit sie in Befolgung der gesetzlich normierten Verpflichtung ausgefüllt und an sie zurückgesandt werden. Tut er dies nicht, macht er sich einer Ordnungswidrigkeit schuldig; die Übersendung bedeutet aber nicht, daß er mit dem Bogen wie ein Eigentümer verfahren sollte und könnte.

Allerdings besteht ein „Interesse" der Erhebungsstelle nicht vordergründig an dem Bogen als solchem, sondern nur an dem ordnungsgemäß ausgefüllten und ihr wieder zugeleiteten. Der Zählbogen ist nämlich nur ein quasi unselbständiges Medium, das der Durchführung der Volkszählung dient. Der Bürger ist noch nicht einmal verpflichtet, ihn auch nur in die Hand zu nehmen, sondern kann das Ausfüllen dem Zähler überlassen (§10 VIIVZG 1987).

Aus diesem Blickwinkel muß auch die Verminderung der Gebrauchsfähigkeit als Tatbestandsmerkmal der Sachbeschädigung gesehen werden. Nicht die Erhaltung der Zählbögen, sond ^ ihre ordnungsgemäße Ausfüllung und Zurücksendung ist e " scheidend. Das kann an dem Beispiel verdeutlicht werden H R ein Bürger, der sich der Verpflichtung aus dem Volkszählung gesetz nicht unterwerfen will, beharrlich Ausfüllung und Rück Sendung verweigert, im übrigen aber die Unterlagen „unaneeta stet" bei sich liegen läßt. Daß in einem solchen Fall nicht von einer Sachbeschädigung ausgegangen werden kann, bedarf keiner Ausführungen. Im Ergebnis nicht anders ist die hier propagierte Handlungsweise zu betrachten. In dem einen wie dem anderen Fall wird der Bogen durch Zeitablauf wertlos, so daß auch der Sachwert völlig in den Hintergrund tritt: Die Erhebungsstelle hat keinerlei Interesse, nach Abschluß der Zählung einen unausge-füllten Bogen zurückzuerhalten. An einer Erhaltung des Sub-stafliwertes der Zählunterlagen besteht für den Eigentümer eber; nur ein vernünftiges Interesse in Verbindung mit der Erfüllunp der gesetzlichen Verpflichtung; ansonsten ist ein strafrechtliches Schutzbedürfnis nicht gegeben (vgl. dazu Stree, in: Schönke-Schrö-der, StGB-, 22. Aufl. [1985], § 303 Rdnr. 3 m. Nachw.). Der «»-ausgefüllte Bogen wird durch das Abschneiden der Kennummer letztlich auch weder in seinem Sach- noch in seinem Gebrauchswert beeinträchtigt. Der Gebrauchswert ist bereits zu dem Zeitpunkt nicht mehr gegeben, zu dem sich der , ,Boykotteur" zum Nichtbefolgen des Volkszählungsgesetzes entschließt, einerlei was mit dem Bogen geschieht. Der Sachwert wird ebenfalls nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt, daß insoweit ein strafrechtliches Schutzbedürfhis besteht. Er ist — wie oben erörtert — nur unselbständiger Teil des Gebrauchswertes, zum anderen „nützt" die Ecke mit der Kennummer nur der Erhebungsstelle im Falle ordnungsgemäßer Sachbehandlung. Diese weiß ja ohnehin, welche Personen die Fragebögen nicht zurückgeschickt haben, weil dort die Kennummern erfaßt sind und die „Boykotteure" anhand des Rücklaufs unschwer ausgemacht werden können.

Aus diesem Grund kann auch eine solche „Beschädigung" nicht als „Aliud" oder,gar als „Plus" gegenüber der Nichtbefolgung der Verpflichtung nach dem Volkszählungsgesetz angesehen werden.

Wenn man davon ausgehen muß, so scheitert auch eine Strafbarkeit aus rechtssystematischen Gründen: Der Gesetzgeber hat die Nichtbefolgung des Volkszählungsgesetzes richtigerweise nur als Bußgeldtatbestand ausgekleidet und damit die Grenzen des Übermaßverbotes beachtet. Es geht daneben nach Auffassung der Kammer nicht an, den „Boykott" über den Umweg der „Beeinträchtigung" des untergeordneten Hilfsmittels in den Rang eines Straftatbestandes zu erheben.

Die Kammer gelangt aufgrund dieser Überlegungen zu der Auffassung, daß ein strafbares Verhalten gern. §111 i.V. mit § 303 StGB nicht vorhegt, so daß eine spätere Einziehung nicht in Betracht kommt und die Beschlagnahme nach den eingangs genannten Vorschriften ebenfalls auszuscheiden hat. Die umfängliche Nachbegründung der StA vermag die Kammer von ihrer Rechtsmeinung nicht abzubringen. Diese Stellungnahme basiert hauptsächlich auf dem Beschluß des LG Bonn vom 4. 5. 1987-31 Qs 62/87. Die Entscheidung dieses Gerichts überzeugt die Kammer nicht, weil sie aus mehr formalen Gründen - die die Kammer durch ihre obigen Ausführungen widerlegt zu haben meint - zu einer Strafbarkeit gem. §§ 111, 303 StGB gelangt.

Die erkennende Kammer sieht sich in ihrer Auffassung durch die Beschlüsse des LG Karlsruhe - auswärtige StrK Pforzheim -vom 11. 6. 1987 (Qs 107/87) und des AG Osterholz-Scharmbeck vom 1. 6. 1987 (6 Gs 301/87) bestärkt; es muß daher bei. den obigen Ausführungen sein Bewenden haben ...