Weizenbaum, Joseph: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft

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Weizenbaum, Joseph: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft (1976) [Computer Power and Human Reason: From Judgment To Calculation]

Technologiekritik an der "Computerrevolution"

S. 54-55: ”Ja, der Computer kam gerade noch rechtzeitig. Aber rechtzeitig wofür? Er kam gerade noch rechtzeitig, um gesellschaftliche und politische Strukturen intakt zu erhalten – sie sogar noch abzuschotten und zu stabilisieren -, die andernfalls entweder radikal erneuert worden oder unter den Forderungen ins Wanken geraten wären, die man unweigerlich an sie gestellt hätte. Der Computer wurde also eingesetzt,um die gesellschaftlichen und politischen Institutionen Amerikas zu konservieren. Ich habe zumindest zeitweise mit dazu beigetragen, sie gegenüber einem gewaltigen Druck in Richtung auf einen Wandel zu stützen und zu immunisieren. Auch in anderen Gesellschaften, die dem Computer erlaubt haben, ernsthaft in ihre Institutionen einzugreifen, ist sein Einfluß im wesentlichen derselbe gewesen; in erster Linien sind hier Japan und Westdeutschland zu nennen. Die Erfindung des Computers stellte eine Teil einer scheinbar stabilen Welt infrage, was bei fast jeder schöpferischen Handlung des Menschen der Fall ist. Und nach dem Ausspruch von Dewey hätte niemand vorhersagen können, was an dessen Stelle treten würde. Aber von den vielen Möglichkeiten einer gesellschaftlichen Innovation, die er dem Menschen eröffnete, war die verhängnisvollste die, ihm alle Überlegungen in Richtung auf eine wesentliche Veränderung aus dem Kopf zu schlagen. Und für genau diese Möglichkeit hatte der Mensch sich entschieden. Der Eintritt der Computerrevolution und die Begründung des Computerzeitalters sind oft verkündet worden. Aber wenn der Triumph einer Revolution an der Tiefe der gesellschaftlichen Veränderungen gemessen werden soll, die sie mit sich gebracht hat, dann hat es keine Computerrevolution gegeben. Und wie man auch immer das gegenwärtige Zeitalter charakterisieren will, der Computer ist nicht dessen Urheber. Wenn wir lediglich sagen würden, der Computer sei ursprünglich hauptsächlich deshalb eingesetzt worden, um bestimmte Arbeiten auf mehr oder weniger dieselbe Weise wie früher zu erledigen, nur schneller oder aufgrund bestimmter Kriterien effizienter, so hätten wir ihn damit noch nicht von anderen Werkzeugen unterschieden. Nur selten, wenn überhaupt jemals, ist ein Werkzeug gleichzeitig mit einer gänzlich neuartigen Tätigkeit zusammen erfunden worden, die es verrichten soll. Als Symbole fordern uns Werkzeuge jedoch dazu heraus, sie in der Phantasie in andere als ihre ursprünglichen Zusammenhänge einzusetzen. In ihrem neuen Bezugssystem, d.h. als neue Symbole in einer bereits in der Vorstellung fest verankerten Struktur können sie selbst umgestaltet werden und möglicherweise auch die zunächst langfristig erstarrte Struktur umgestalten.” (danach Bsp.: Transformation stationärer Dampfmaschinen in Lokomotive, US-Volkszählung 1951: Transformation von IBM-Lochkarten-Maschinen zunächst in spezielle und später in universelle elektronische Computer wie UNIVAC I; damit Etablierung von Computern, beschäftigt sich dann mit der Schwierigkeit der Erfindung 'neuer Werkzeuge', um dann den Computer einzuordnen und dessen Ambivalenz zu zeigen)

S. 63: “In gewissem Sinn ist der Computer ein Werkzeug derselben Art. Er hat dazu beigetragen, die Tür zu neuen Räumen aufzustoßen, und er hat bestimmte gesellschaftliche Institutionen gerettet, die unter dem Andrang einer ständig wachsenden Bevölkerung zu kollabieren drohten. Aber unter seinem Einfluß haben sich auch bestimmte Türen geschlossen, die einmal offenstanden ... ob unwiderruflich oder nicht, das läßt sich noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Es gibt einen Mythos,wonach heutzutage Computer die wichtigsten Entscheidungen treffen, die früher von Menschen getroffen wurden. Vielleicht gibt es hier und da in unserer Gesellschaft einzelne Fälle dieser Art. Aber die weitverbreitete Vorstellung von Managern, die ihren Computer Fragen von der Form eingeben: 'Was sollen wir jetzt tun?' und dann auf die 'Entscheidung' des Computers warten, ist weitgehend falsch. In Wirklichkeit sieht es so aus, daß die Menschen die Verarbeitung von Informationen, auf denen Entscheidungen gegründet sein müssen, enorm komplexen Computersystemen überlassen haben. Mit wenigen Ausnahmen haben sie sich das Recht vorbehalten, Entscheidungen zu treffen, die auf dem Ergebnis dieser Rechenprozesse beruhen. Damit können Menschen die Illusion aufrecht erhalten, und mehr ist es oft nicht, daß im Grunde sie es sind, die entscheiden. Aber, und das ist meine These, ein Computersystem, das nur bestimmte Arten von 'Daten' zuläßt und das nicht einmal im Prinzip von denen verstanden werden kann, die sich darauf verlassen, ein derartiges System hat viele Türen ein für allemal zugeschlagen, die vor seiner Installation offenstanden.“

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