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Version vom 19. August 2010, 15:26 Uhr von Muzungu (Diskussion | Beiträge) (abschluss um zwei absätze ergänzt, weitere kleine änderungen)
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Werkstatt

Hier kann an Texten und Entwürfen für alle Fälle gearbeitet, gebastelt, geschliffen und gefeilt werden.

Brief der JuLis zum Nds. Versammlungsgesetz vom 30.7.2010

Versammlungsgesetz Niedersachsen – Stellungnahme zur Kritik

Die Grundrechte stehen für uns Junge Liberale im Mittelpunkt unseres politischen Handelns. Dies ist auch bei einer Regierungsbeteiligung der FDP nicht anders. Jedoch sind wir der Meinung, dass Kritik sachlich fundiert sein muss und nicht eine Reflexbewegung auf Grund von politischer Couleur sein darf. Deswegen möchten wir mit dieser Stellungnahme auf die formulierte Kritik bezüglich des neuen niedersächsischen Versammlungsgesetzes eingehen. Darüber hinaus wollen wir darlegen, warum wir einen Protest in diesem Ausmaß nicht mittragen können. Nachfolgend geben wir einen Überblick über die gängigen Kritikpunkte und setzen uns damit auseinander.

Der Vorwurf das Gesetz sei sehr restriktiv und bürokratisch ist nicht nachzuvollziehen, wenngleich wir nicht bestreiten wollen, dass bei derlei Gesetzen immer eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit stattfindet. Der Unterschied besteht unserer Meinung nach nur darin, dass diese verfassungsrechtlich gerechtfertigt sind. Dass zum Beispiel eine Demonstration (sofern keine Spontan- oder Eilversammlung) zeitnah angemeldet werden muss, liegt aufgrund entgegenstehender Interessen auf der Hand. Zu nennen sind an dieser Stelle u.a. der zu regelnden Verkehr und/oder mögliche Gegendemonstrationen. Dabei ist im Übrigen hervorzuheben, dass der Entwurf im Bereich der Spontan- und Eilversammlungen liberaler gehandhabt wird, als nach der bisherigen Rechtslage. 48 Stunden vor der Versammlung soll die Anzeige bei „normalen“ Versammlungen erfolgen. Dies ist keine wirkliche bürokratische Hürde, sondern soll die Verwaltung darauf vorbereiten können. Die bisherige Rechtslage sieht ebenfalls 48 Stunden vor.

Damit ist der Kritikpunkt falsch. Im derzeitigen (Bundes-) Versammlungsrecht ist dies zwar nicht geregelt, jedoch hat die Rechtssprechung diese 48 Stunden als angemessen festgelegt. Niedersachsen hat somit die Sicht der Rechtssprechung übernommen.

Auch kann die Behörde nicht einfach einen Veranstalter aufgrund von Vermutungen anhand personenbezogener Daten ablehnen. Dies steht auch nicht im §10 I des Entwurfs, wo von „Geeignetheit“ geschrieben wird. Dieser Begriff ist definierbar und hat mit Polizeiwillkür nichts zu tun.

Falls der Vorwurf auf §10 II 2 abzielt, liegt auch in diesem Fall eine solche Situation nicht vor. Der Satz gibt der Polizei das Recht nach den persönlichen Daten des Ordners zu fragen. Dennoch muss eine „Ungeeignetheit“ bestehen, um diesen von einer Ordnertätigkeit entbinden zu können (bzw. wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht). Eine „unverhältnismäßige Sammlung von Daten“ der Veranstalter oder Ordner sehen wir im Übrigen nicht.

Problematisch sehen wir allerdings ein Uniformierungsverbot. Es ist nicht die Aufgabe des Staates zu regeln, wie sich seine Bürger kleiden, um auf Demonstrationen zu gehen. Wir sehen darin vor allem einen Versuch bspw. Rechtsextremisten am Durchführen von Demonstrationen zu behindern. Allerdings könnten auch Linksautonome unter diese Regelung fallen. Unserer Meinung nach reichen Normen wie bspw. §13 oder §14 des Entwurfs völlig aus, um zu verhindern, dass die Aufzüge im „Schutze“ einer uniformierten Masse einfacher Straftaten begehen können.

Aber auch hier bitten wir zu beachten, dass diese Norm kein Novum darstellt, sondern bereits seit Jahren so gehandhabt wird.

Im Folgenden möchten wir auf den Kritikpunkt möglicher „Agents provocateurs“ eingehen, die sich ggf. verdeckt an Demonstrationen beteiligen könnten. In §4 III des Entwurfs steht, dass sich die Polizei beim Veranstalter anzumelden hat. Mögliche „Agents provocateurs“ die sich in die Demonstration „schleichen“, handeln somit rechtswidrig.

Auch die Wertung von zwei Personen als mögliche Versammlung ist nichts Neues, sondern schlicht wiedergegebene Rechtsprechung. Dies wird seit Jahren so gesehen, weswegen wir die plötzliche Aufregung darüber nicht nachvollziehen können. Eine Mindermeinung bzgl. der Anzahl der Teilnehmer vertritt übrigens die Auffassung, dass drei Personen notwendig wären. Grundsätzlich betrachtet ist es besser im Schutze des Art. 8 GG im Versammlungsrecht zu stehen, wo Polizeirecht nicht anwendbar ist, als wenn es andersrum wäre.

Natürlich sehen auch wir die Videoaufzeichnungen als problematisch an. Allerdings ist es so, dass die Hürden hierfür bereits sehr hoch sind („tatsächliche Anhaltspunkte“ und „erhebliche Gefahr“) und schließlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen hat. Außerdem müssen die Daten im Nachhinein umfassend gelöscht werden. Dies ist definitiv ein kritischer Punkt. In diesem Kontext sollte aber beachtet werden, dass auf der anderen Seite andere wichtige Rechtsgüter (Leben, körperliche Unversehrtheit, Sacheigentum etc.) auf dem Spiel stehen. Verfassungswidrig ist diese Norm nicht. Wir lehnen jedoch eine Ausweitung auf die öffentliche Ordnung ab, wie sie im Entwurf gefordert wird.

Die Strafvorschriften sind aus unserer Sicht nicht zu hoch. Man muss bedenken, dass bei einer Maximalandrohung von einem Jahr Freiheitsstrafe, diese quasi nie erreicht werden kann. Es lässt sich sicherlich diskutieren, ob die eine oder andere Strafandrohung zu einer Ordnungswidrigkeit und damit zu einer Bußgeldvorschrift wird dennoch sind die Vorschläge verhältnismäßig. Als Beispiel sei der Diebstahl genannt. Dieser wird mit bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe geahndet. Praktisch aber führt ein Diebstahl faktisch nie zu einer Gefängnisstrafe.

Wir stellen fest, dass sich außerdem zwei gängige Kritikpunkte des Gesetzes nicht im offiziellen Entwurf finden. Es gibt sicherlich grundrechtsintensive Bereiche, die eines besonderen Schutzes bedürfen, jedoch sehen wir keine „massive Unverhältnismäßigkeit“ und auch keine ausufernde Bürokratie. Tatsächlich wird das Versammlungsrecht vereinfacht. Oftmals liegt nur eine Kodifizierung der Rechtssprechung vor. Das Versammlungsgesetz auf Bundesebene war in der Hinsicht viel abstrakter, so dass es überhaupt zu der Entscheidung durch die Gerichte kam. Dementsprechend ist eine Konkretisierung zu begrüßen, da es letztlich Vereinfachung bedeutet. Der Bürger weiß, woran er ist und kann im Zweifel im Gesetz nachschauen. Dies ist bisher im aktuellen Versammlungsrecht in einigen Punkten nicht möglich, da es schlicht nicht drinsteht.

Probleme haben wir mit dem Begriff der öffentlichen Ordnung, welcher mehrfach in dem Entwurf zu finden ist. So halten auch wir die Formulierung des §12 I für falsch, in der eine Versammlung bei einer Gefahr für die öffentliche Ordnung beschränkt oder verboten werden kann. Nichtsdestotrotz ist die Anwendbarkeit der öffentlichen Ordnung eher gering. Wir sind jedoch generell gegen diesen Begriff im Gefahrenabwehrrecht und kritisieren auch die Wiedereinführung des Begriffs (2004) im Niedersächsischen Polizeirecht.

Unsere Antwort darauf (Entwurf)

Die Stellungnahme der JuLis zu unserer Kritik am Entwurf für ein Niedersächsisches Versammlungsgesetz vom 12.01.2010 möchten wir vom AK Vorrat Hannover als Anlass nehmen, unsere Bedenken zu erläutern und auf die Abwägungen der JuLis einzugehen.

Vorweg dementieren wir ausdrücklichst den impliziten Vorwurf, unsere Kritik wäre unsachlich und unangemessen. Es handelt sich bei unseren Bemühungen, wie wir durch die Sachlichkeit unserer Kritik auch zu zeigen versuchen, nicht um einen politischen "Beißreflex", sondern um ehrliche Besorgnis um ein Grundrecht sowie das Interesse, ein modernes und gerechtes Versammlungsgesetz zu erhalten, das in Theorie und Praxis zu einer Festigung der Versammlungsfreiheit führt. Wir sind keiner Partei oder anderen etablierten politischen Organisation beigeordnet.

In der Stellungnahme der JuLis steht ferner, dass sie einen Protest in diesem Ausmaß nicht mittragen könnten. Hier stellt sich die Frage, in welchem Maße der Protest denn gestaltet sein sollte und auf welchen Protest sich die JuLis beziehen. Wir halten einen sachlichen, gewaltfreien und öffentlichkeitswirksamen Protest durch offene Briefe, Diskussionsaufrufe und Demonstrationen, wie er bisher ablief, für angemessen. Bei Grundrechtseingriffen sollten alle gesetzlichen Protestmittel ausgeschöpft werden.

Es wird behauptet, der Vorwurf der Bürokratielastigkeit und Restriktivität sei nicht nachvollziehbar. Dass dies doch so ist, werden wir durch die Kritik in den weiteren Absätzen zu verdeutlichen versuchen. Als Stichworte seien hier nur genannt: Leiterpflichten, festgeschriebenes Kooperationsgebot, die Möglichkeiten zur ErfassungOrdnerdaten und -ablehnung, Länge und Gesamteindruck des Gesetzes.

Die 48-Stunden-Regelung wird von den JuLis begrüßt; auch wir haben grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, dass eine Versammlung vor dem Stattfinden angezeigt werden muss, damit die Versammlungsbehörde Vorkehrung für Ordnung und Sicherheit treffen und damit ihren Teil für einen reibungslosen Ablauf der Versammlung leisten kann. 48 Stunden halten wir für vertretbar und angemessen. Allerdings werden im Gesetzentwurf bei der Berücksichtigung dieser Frist Wochenenden und Feiertage ausgeschlossen, so dass im Zweifelsfall, etwa zu Ostern, eine Versammlung für Dienstag nach Ostern schon am Gründonnerstag, also 120 Stunden vor Beginn, angezeigt werden muss und nicht vorher beworben werden darf. In diesen und ähnlichen Fällen muss also von einer geplanten deutlichen Verschärfung der Anmeldefristen gesprochen werden.

Desweiteren ist geplant, in einem neuen Entwurf für das Gesetz die Frist von 48 Stunden nicht mehr von Beginn der Versammlung zu zählen, sondern ab dem Aufruf zu selbiger. Eine Versammlung, die man noch nicht bewerben kann, kann man auch schlecht, etwa bezüglich der erwarteten Teilnehmerzahl, einschätzen. Deshalb wäre diese Regelung für Versammlungsleiter nicht praktikabel. ### jetzt hoffentlich klarer formuliert -marius viel besser, aber damit fordern wir eine deutliche veränderung gegenüber dem status quo. müsste man dann nicht u.u. die 48stunden-regel ändern (z.b. auf 72stunden), damit die polizei noch genug zeit zum planen und vorbereiten hat? (alleine schon für die prüfung und auflagenerteilung) -michael.###

Die Ordnerablehnung ist laut JuLis an strikte Vorgaben und rechtlich definierte Begriffe gebunden. Wir halten jedoch - als Nichtjuristen - einige im Gesetzestext in diesem Zusammenhang benutzte Begriffe wie "Eignung" und "Reife" nicht als eindeutig und nachvollziehbar definiert und sind der Ansicht, dass diese zu Gummiauslegungen geradezu einladen. Zudem ist es für uns nicht akzeptabel, dass der Staat sich in solche Versammlungsinterna einmischt, auch aus liberaler Sicht wäre das wohl zu kritisieren.

Die JuLis sehen keine unverhältnismäßige Sammlung von Daten, begründen das aber nicht weiter. Wir erkennen an, dass Daten in gewissem Umfang erhoben werden müssen, ohne dies konkret auf das Versammlungsgesetz beziehen zu wollen. Allerdings müssen in diesen Fällen klare Regelungen im Gesetz verankert sein, die festlegen, was mit diesen geschieht und ob und wann sie gelöscht, oder ob sie überhaupt gespeichert werden. Dies ist im aktuellen Entwurf, abgesehen von den Regelungen betreffs der Videoüberwachung, nicht der Fall.

Aufgrund dieser Unbestimmtheit wirkt die Erfassung der Daten, selbst wenn sie nicht langfristig gespeichert werden, abschreckend auf potenzielle Leiter und Ordner. Das gilt etwa dann, wenn diese Menschen aus politischen Richtungen stammen, die allgemeingesellschaftlich kaum Anerkennung finden. Auch und besonders für diese politischen Minderheiten, Abweichler und Protestbewegungen ist das Versammlungsrecht aber geschaffen worden; eine abschreckende Wirkung des Versammlungsgesetzes ist so eine große Gefahr für die pluralistische Demokratie.

Das kräftig formulierte Uniformierungsverbot wird auch von den JuLis kritisch gesehen, doch sie schreiben, die Tatsache, dass hier bereits jetzt Einschränkungen existieren, rechtfertige eine Festschreibung im neuen Gesetz. Wir halten dieses Argument für illegitim, weil es sich nicht mit der Sache beschäftigt, sondern lediglich einen Status Quo zu geltendem Recht macht. Doch ein neues, progressives und liberales Versammlungsgesetz darf nicht nur bestehende Regeln, bestehende Rechtsprechung und - im Einzelfall - bislang rechtswidrige Gewohnheitspraxis festschreiben, sondern muss diese hinterfragen und Praxisregelungen gegebenenfalls zu Gunsten der Freiheit verbessern. Deshalb halten wir es für konsequent, die im aktuellen Entwurf enthaltenen Regelungen zum Uniformierungsverbot abzuschwächen oder zu streichen und möchten die JuLis einladen, wenn sie das Uniformierungsverbot kritisch sehen, sich auch für eine Änderung dessen einzusetzen.

Der Vorwurf einer Legalisierung von "agent provocateurs" ist in der Tat nicht haltbar, sie existierte nur im ersten Gesetzesentwurf aus dem Jahr 2008. Doch sei erwähnt, dass alleine die Tatsache, dass die niedersächsische Landesregierung so etwas aber in Erwägung gezogen und in einen - wenn auch nicht öffentlichen - Gesetzentwurf niedergeschrieben hat, halten wir aber in der Tat für einen Skandal.

Wir möchten aber trotzdem darauf hinweisen, dass es diese Praxis auch heute - rechtswidrig - schon gibt. Dies ist umstritten, aber die Behauptung, dass es in Einzelfällen solche illegale Einsätze gab, kann wohl aufgestellt werden. Fünf - wenn auch in Teilen unspektakuläre - Beispiele konkreter Erfahrungen im Umgang mit dem Versammlungsgesetz haben wir in einem Papier [1] Ende Januar 2010 veröffentlicht. Viele weitere Beispiele willkürlich erscheindender Auslegung des derzeitigen Versammlungsgesetzes werden in einem lesenswerten Dokument [2] von Sebastian Wertmüller vom DGB anhand zahlreicher Beispiele aus der Praxis aufgeführt.

Wir vermissen die Bereitschaft der politischen Verantwortlichen, die heute schon bestehenden Probleme in der Praxis des Versammlungsrechts in öffentlicher Diskussion zu benennen, zu bewerten und die Ergebnisse solcher Gespräche in ein neues Gesetz einfließen zu lassen.

Ob momentan zwei oder drei Personen als Versammlung gelten, ist umstritten, es lassen sich beide Positionen vertreten. Der Unterschied zwischen diesen beiden ist auch in der Tat von geringerer Relevanz. Wir vermissen aber grundsätzlich eine Berücksichtigung von Kleinstversammlungen, etwa bis zu 20 Personen, die durch ihren geringen Einfluss auf die öffentliche Ordnung auch weniger Restriktionen benötigen. Bei einer genauen Definition solcher Kleinstversammlungen - die Zahl 20 ist keine Forderung, sondern ein Beispiel, die endgültige Definition kann anders lauten - wünschen wir uns wegen dieses geringen Einflusses ein Wegfallen der Anzeigepflicht. Das Beharren auf das vollständige Greifen aller Anforderungen beispielsweise auf zwei flugblattverteilende Menschen führt unserer Meinung nach zu einer Verkümmerung der politischen Kultur; und ist deswegen eine große Gefahr für unsere Demokratie.

Die JuLis schreiben bezüglich der Videoüberwachung, dass die Hürden, die der Gesetzesentwurf bei ihrem Einsatz vorsieht "sehr hoch" seien und umfassende Löschvorschriften existierten. Die Hürden ("tatsächliche Anhaltspunkte", "erhebliche Gefahr") stehen zwar auf dem Papier, aber schon die jetzige Praxis, die diese ebenfalls vorsieht, zeigt, dass sie oft nicht eingehalten werden und nicht ausreichend eng definiert sind. So kann in der Demonstrationspraxis nicht gegen rechtswidriges Filmen durch die Polizei vorgegangen werden. [Hier vielleicht auch ein konkretes Beispiel, wenn die Veröffentlichung davon für die in diesem Fall fragende Person akzeptabel ist] Die Löschvorschriften sind unserer Ansicht nach nicht umfassend genug, dazu sei auf die unklare Bedeutung von §14(3)2. und die sehr viel erlaubende Regelung in §14(4) verwiesen. Zudem wird in §14(3) durch die Ausnahme, die auf §14(1) verweist, die Löschfrist faktisch irrelevant. [Das sollte jemand schöner formulieren ohne einen 100-Wort-Satz daraus zu machen. Ich weiss, dass Paragraphen den Textfluss stören, aber bei diesem Punkt müssen genau die Kleinigkeiten in den Regelungen aufgezeigt werden, deshalb die Verweise.] Die Innenausschuss-Sachanhörung hat augenscheinlich klar offenbart, dass das Gesetz an dieser Stelle deutlichen Veränderungsbedarf aufweist, um sich nicht schon durch einen Seitenblick auf die Eilentscheidung des BVerfG vom 17.2.2009 als verfassungsbrechendes Gesetzeswerk zu outen. (Das wurde aber auch schon von der Landesregierung erkannt, eingeräumt - Änderungsbedarf und -willen wurde mehr oder weniger offen signalisiert.)

Wir begrüßen, dass die JuLis eine Ausweitung der Videoüberwachung auf Gefahren für die öffentliche Ordnung ablehnen und unterstützen dies.

Über die Höhe der Strafandrohung lässt sich sicher lang diskutieren und wir sehen ein, dass die Maximalstrafe nicht die Regelstrafe ist. Wir sind jedoch trotzdem der Ansicht dass die Häufung starker Strafandrohungen eine insgesamt abschreckende und einschüchternde Wirkung ausübt und friedliche Bürger, die befürchten, irrtümlich beschuldigt zu werden, und die sich nicht über alle Regelungen und die sie betreffenden Strafen im klaren sind, vom Ausüben eines Grundrechts abhalten kann; so etwas wünschen wir uns nicht.

Dass die Sichtweise auf die Höhe der möglichen Strafen aber unterschiedlich ist und auch die Ansicht der JuLis legitim ist, akzeptieren wir.

Unsere Kritik an der schieren Länge des neuen Gesetzesentwurfes im Vergleich zum alten Bundesversammlungsgesetz wird von den JuLis damit gekontert, dass dies durch die Kodifizierung gängiger Rechtsprechung zu Stande komme und somit zur Vereinfachung beitrage. Dies ist teils sicher richtig, da Bürger so die Rechtslage aus dem Gesetz erkennen können, statt darauf angewiesen zu sein, diverse Gerichtsentscheidungen zu kennen.

Allerdings möchten wir darauf hinweisen, dass Rechtsprechung in der Theorie eine Interpretation der Gesetze darstellt, nicht die Schaffung neuer. Insofern sind die durch Gerichte getroffenen Regelungen theoretisch bereits aus dem kürzeren Gesetzestext ersichtlich. ### Diesen Gedankengang finde ich persönlich hochinteressant und hätte ihn deshalb gern drin, aber wenn ihr meint, dass es irrelevant ist, da danach steht, dass die Praxis anders ist und diese Argumentation damit ausgehebelt wird, kann es auch raus. Ich glaube aber, dass zu einer sachorientierten Diskussion auch solche Nebenstränge gehören, die letzten Endes unsere Ansicht nicht ändern -marius - ich find ihn gut und bin für "drinlassen" -michael. ### In der Praxis kann eine Klarstellung im Gesetz aber tatsächlich eine Vereinfachung für den Bürger darstellen. So wie wir an anderer Stelle klare Definitionen fordern, sind wir auch hier dafür, dass das Gesetz die Rechtslage besser klar definiert anstatt Gummiparagraphen zu schaffen. Insofern sehen wir die Argumentation der JuLis insoweit als richtig an, als sie sich auf die Länge bezieht, nicht jedoch bezüglich der konkreten Inhalte der langen Sonderregelungen.

Jedoch wurde bereits oben erklärt, dass auch die Möglichkeit besteht, die aktuelle Rechtslage zu ändern und die bisherige restriktive Praxis mit einem progressiven Versammlungsgesetz zu ändern. Ein beträchtlicher Teil der für die Länge verantwortlichen Sonderregelungen und Strafkataloge könnte damit wegfallen, was wieder zu einem kürzeren und damit für den Bürger einfacheren und verständlicheren Gesetz führt. Die Bürgerfreundlichkeit ist bei einem für die Demokratie so elementaren Gesetz von essenzieller Bedeutung. Immerhin handelt es sich bei dem Versammlungsgesetz um ein grundlegendes Gesetz, was in seiner Formulierung und Ausgestaltung so geformt sein sollte, dass es von möglichst vielen Menschen verstanden und erst damit anerkannt werden kann.

Mit all diesen Punkten sollten wir verdeutlicht haben, dass der neue Gesetzesentwurf durchaus restriktiv ist und nicht, wie von den JuLis behauptet, vereinfacht.

Wir stellen fest, dass sich die Gegenkritik der JuLis nur auf einige Punkte unserer (zugegebenermaßen nicht unbedingt stringenten) 10-Punkte-Kritik [3] eingeht, und dann auch jeweils nur in Teilaspekten. (Unsere Punkte 1, 5 und 8 werden in keinem der erwähnten Teilaspekte angesprochen).

Und wir möchten darauf hinweisen, dass sich die derzeitige Kritik um einen Gesetzentwurf, der nach Äußerung einflußhabender Politiker nach der Sachverständigenanhörung im Innenausschuss noch einmal überarbeitet werden soll. Leider ist bis heute allerdings keine Information darüber bekannt geworden, welcher Art die geplanten Änderungen sein werden und für wann die weitere Behandlung bzw. die Verabschiedung des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes geplant ist.

Der Gesamteindruck, der sich so dem Bürger bei der Betrachtung des derzeitig öffentlichen Gesetzentwurfs aufdrängt, sorgt für Verunsicherung, die bei der Ausübung eines Grundrechts in unserem freiheitlich-demokratischen System nicht entstehen darf.

"Ich bin der Auffassung, daß Demonstrationen in unserer Gesellschaft, die dem spontanen Ausdruck unmittelbarer Interessen und Bedürfnisse dienen, für viele Menschen, die in Objektrollen dieser Gesellschaft gedrängt werden, nichts Geringeres als Lebens- und Überlebenschancen darstellen.
Man weiß, daß erzwungene Passivität auf Dauer krank macht. Der aktive Umgang mit der Realität, der spontane Ausdruck von eigenen Bedürfnissen, das sind identitätsbildende Elemente und kein Luxus, auf den man auch verzichten könnte."
Oskar Negt, 1981, Aus: Tagungsband der Evangelischen Akademie Loccum "Die Realisierung eines Grundrechts - Zur Diskussion über das Demonstrations- und Versammlungsrecht"

Verweise:

[1] Meine Erfahrungen mit der Versammlungsfreiheit - Fünf Beispiele

   6seitige Sammlung von konkreten Beispielen von Michael Ebeling, 28.1.2010
   http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/images/Versammlungsfreiheit_heute_-_fünf_beispiele.pdf

[2] Synopse Polizeiauflagen

   Erstellt von Sebastian Wertmüller, DGB Niedersachsen-Mitte, November 2009
   http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/images/Synopse_Auflagen.pdf

[3] 10-Punkte-Kritik am Entwurf des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes

   Faltblatt des AK Vorrat Hannover vom 18.1.2010
   http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/images/Kritik_NdsVersG_-_AK-Vorrat-Hannover.pdf


Diskussionsbedarf und Vorschläge zur Antwort

Außerdem sollten wir noch auf die anderen Punkte aus der 10-Punkte-Kritik eingehen, die die JuLis nicht erwähnen. Ich bin mir aber im Moment nicht sicher, wie man das einbringen kann, da sich der Text im Moment fast absatzgenau an der JuLi-Stellungnahme orientiert und ich den Abschluss sehr passend finde. Wenn jemand das einfügen möchte, die Punkte sind: 1. Grundsätzliches 3. Anmeldeakt 5. Extremes Kooperationsgebot 7. Bürokratisierung(schon angesprochen, aber nicht auf einne Punkt gebracht) 8. Lex specialis -marius

ich habe versucht, den abschluss etwas zu verändern. habe aber nichts dagegen, wenn das wieder ge- oder verändert wird. -michael.

Das Kooperationsgebot wurde von "ausführlich" zu "festgeschrieben" geändert. Aber sind wir dagegen, dass es grundsätzlich eine gewisse Kooperation geben muss? Ich denke, schlimm ist nur die Stärke des neuen Gebots, daher würde ich es gern wieder zu "ausführlich" ändern. -marius

also ich bin schon gegen ein feste vorschrift bzw. eine verpflichtung zur kooperation. daraus kann schnell ein fallstrick gedreht werden. und protestlern mit "systemkritischen" inhalten dürfte so etwas auch zu schaffen machen. -michael.

Ich würde das Ausrufezeichen bei dem Nachsatz zu den agent provocateurs in einen Punkt ändern, um es sachlich zu lassen. Empörung ist bei dem Thema zwar angebracht, aber kann in diesem Kontext unseriös wirken. -marius

klar. ist geändert. -michael.

Das Beispiel mit der Hartz-IV-Mahnwache würde ich rausnehmen, da es im Gegensatz zu den Flyerverteilern eine konkrete politische Ansicht vertritt, wir aber grundsätzliche Kritik an der Demokratietauglichkeit üben und uns nicht mit tagespolitischen Meinungen identifizieren. Deshalb sind auch die Minderheiten und Abweichler an anderer Stelle nicht näher benannt.

meinetwegen. habe ich rausgenommen. - michael.

Andererseits, was ist dann mit den anderen konkreten Beispielen, die im Moment noch nicht drin stehen, aber "vorgemerkt" sind? -marius

"vorgemerkt" - das verstehe ich nicht so richtig... -michael.

was unsere forderungen zur anmeldefrist betrifft, so sind wir m.e. irgendwie noch nicht genau auf einem nenner (siehe einschub im text oben...) -michael.

ich würde gerne noch als zwei ergänzende punkte hinzufügen, dass wir uns ausdrücklich für eine pseudonyme polizistenkennzeichnung einsetzen (und das auch sachlich darzustellen und zu begründen) und dass wir uns eine diskussion über die heute herrschenden zustände wünschen. selbst wenn die julis diese punkte nicht angeschnitten haben. was meint ihr dazu? -michael.

das letztere habe ich schon umgesetzt... -michael.

Hier jetzt am besten noch ein Negt-Zitat als Abschluss, dass ich leider nicht finde; sinngemäß besagte es, dass die Verängstigung und dadurch die Passivität der Bürger gefährlich für die Demokratie ist. (kommentar von marius am ende unseres textes)

ich habe nun ein zitat eingefügt und hoffe, dass es das ist, was du meintest. ich mag herrn negt sehr bzw. finde ihn sehr interessant, gebe aber zu bedenken, dass er als prominenter vertreter der "frankfurter schule" leicht als "linker" in die ecke gestellt werden kann. ich selber fände es aber gut, wenn wir das zitat drin lassen. sollten wir nicht mal kontakt mit herrn negt aufnehmen oder ihn zu einem treffen einladen, falls er lust dazu hat? -michael.