Argumente gegen die Vorratsdatenspeicherung

Aus Freiheit statt Angst!
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Hier sollen die vorhandenen Argumente gegen VDS zusammengetragen werden.

1. Verhältnismäßigkeit

Es ist weder vernünftig, noch verhältnismäßig, noch überhaupt technisch realisierbar, die Internet-Verbindungsdaten von allen 450 Mio. EU-Bürgern für 6 Monate zu speichern, nur weil ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung Verbrechen jedweder Art über das Internet plant.

2. Nutzen

Der Nutzen (wenn überhaupt vorhanden) wird immer mehr abnehmen, da starke Anonymisierungsverfahren (siehe auch Anonymizer) immer weiter entwickelt und bequemer zu nutzen sein werden. Diese Verfahren bzw. Dienste sind Kriminellen sicher bekannt. Betroffen wäre also nur der durchschnittlich erfahrene Internetnutzer.

2a. Kontraproduktivität

Durch die VDS werden Anonymisierungsverfahren auch für Journalisten, Bürgerrechtsorganisationen, etc. interessant bzw. notwendig und ihre Weiterentwicklung dadurch zusätzlich legitimiert und evtl. beschleunigt. Gezielte Überwachung von Kriminellen wird dann immer schwieriger.

3. Unschuldsvermutung

Vorratsdatenspeicherung widerspricht der Unschuldsvermutung; solange kein Verdacht gegen einen Bürger vorliegt darf er nicht beobachtet werden. Genau das würde aber geschehen.

4. Informationelle Selbstbestimmung

Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ("im deutschen Recht bezeichnet die Informationelle Selbstbestimmung das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen.", [1]) kann vom Bürger nicht wahrgenommen werden.

5. Kosten

Auf den Bürger würden auf jeden Fall immense Kosten zukommen: Entweder die Provider erhalten vom Staat eine Entschädigung für ihre Investitionen in die nötige, sehr umfangreiche, Infrastruktur zur Speicherung der Daten, die im Endeffekt dann wieder vom Steuerzahler finanziert wird, oder sie erhalten keine Entschädigung; in diesem Fall müssten sie ihre Kosten direkt auf ihre Kunden umlegen, was zu einer deutlichen Erhöhung der Preise für Internetzugänge führen würde.

6. Gefährdung der Demokratie und der damit theoretisch einhergehenden Meinungsfreiheit

Weil in wenigen Händen Daten von vielen Menschen liegen, Daten, wie, "Wer interessiert sich für was?", "Wer ruft welche Internetseiten auf und welche Suchbegriffe werden verwendet?", "Wer schreibt wem E-Mails?". Das sind alles sehr private, auch manchmal etwas öffentlichere Daten und wenn in der Hand wirklich Weniger eine ganze Nation oder eine ganze EU die Macht liegt, diese zu analysieren mit irgendwelchen vermeintlich tollen Data-Mining-Algorithmen, dann liegt in diesen wenigen Händen wirklich viel Macht und Wissen über eine halbe Milliarde Menschen.

Die Gefährdung der Meinungsäußerung sei jetzt schon zu beobachten. Wer auch nur befürchte, dass jedes Telefonat, jeder Besuch im Internet, jede Äußerung in Chatrooms von der Wirtschaft oder dem Staat mitgehört oder mitgelesen werden könne, passe sich oft den jeweils gängigen Meinungen an - vielleicht nur aus Angst, ein späterer potentieller Arbeitgeber könne etwas nachlesen. Demokratie aber funktioniere nur dann, so der Netzaktivist padeluun...

...indem wir selber uns immer trauen, unsere Meinung zu sagen und zwar die, die wir wirklich glauben und nicht die, von der wir glauben, dass sie Andere hören wollen, um dafür dann kleine Vorteile zu kriegen. Und dieser Anpassungsdruck, der damit erzeugt wird, indem ich das Gefühl hab, da bewertet mich jemand, da hängt vielleicht meine Karriere von ab, was ich sage, das führt dazu, dass man sich versimpelt. (aus dlf:17.6.2006, Freiheit statt Sicherheitswahn, Berichterstattung über die Demo am gleichen Tag mit dem gleichen Motto und ca. 250 TeilnehmerInnen in Berlin)

Kostenübernahme

Bei Umsetzung dieser Richtlinie in die Praxis steigt der Bedarf an Speicherkapazität für die aufgezeichneten Daten enorm. Es wurde eine Klausel in die Richtlinie eingebaut, welche den Ländern freie Hand bei der Kostenentscheidung geben wird. In Deutschland wird es aber wahrscheinlich so aussehen, dass die Unternehmen das bezahlen müssen, da es laut eines Politikers "eine staatsbürgerliche Pflicht sei". Da diese die hierfür entstehenden Kosten auf die Kunden umlegen werden, wird jeder Kunde damit für seine eigene Überwachung auch noch selbst bezahlen müssen.

Das gerne angebrachte Argument, ein Autofahrer müsse auch für die Sicherheit seines PKW aufkommen, mag logisch klingen, ist es aber keineswegs:

Er vermindert damit die von ihm selbst ausgehenden Gefahren für sich und andere. Wendete man die Vorratsdatenspeicherung auf den Kfz-Verkehr an, würden allein die Nicht-Motorisierten für die Sicherheit in die Pflicht genommen.

Es existieren gleichwertige Alternativen zum Auto, die alternativ genutzt werden können, was bei der Telekommunikation nicht der Fall ist, da sämtliche Kanäle überwacht werden. Weiterhin handelt es sich bei der Sicherheit eines Autos um eine individuelle Präventionsmaßnahme gegenüber Gefahren, deren Wahrscheinlichkeit die eines terroristischen Anschlags, dem der Bürger zum Opfer fallen könnte, zigfach übersteigt (s. auch Verhältnismäßigkeit).

Anonyme Kommunikation dennoch weiterhin möglich

Auch nach Umsetzung dieser Richtlinie gibt es noch Möglichkeiten, anonym zu kommunizieren. Anonymisierungs- und Verschlüsselungssoftware ist im Internet frei verfügbar und kann von jedem genutzt werden, der sich in die Programme einarbeitet. Diese Software hat zwar nicht selten einige Nachteile (etwa eine verlangsamte Datenübertragung), der gewünschte Effekt wird jedoch dadurch erzielt. Es ist kaum zu erwarten, dass gerade Terroristen und Verbrecher sich dieser Methoden nicht bedienen werden. Eine (englische) Übersicht der einfachsten Techniken hatte die ISOC Polen bereits Anfang Dezember 2005 an alle Abgeordneten des Europaparlaments verteilt.

Deswegen trifft diese Richtlinie viel mehr den Konsumenten, der nicht bereit, fähig oder willens ist, derartige Maßnahmen zu ergreifen, als den Verbrecher, der genau darauf angewiesen ist, und es daher auch tut.

Hier spiegelt sich der zweifelhafte Sinn der Vorratsdatenspeicherung wider. Es darf nicht passieren, dass noch weiter in die Grundrechte eingegriffen wird, die Nutzung von Anonymisierungs- und Verschlüsselungssoftware muss deshalb weiterhin uneingeschränkt für jedermann erlaubt sein.

Informantenschutz

Problematisch ist diese Richtlinie auch für Journalisten. Angesichts der Aufzeichnung von Kommunikationsverbindungen (und dadurch Gesprächspartnern) müssen Informanten nun befürchten, noch schneller enttarnt zu werden. Es ist zu erwarten, dass dies gerade bei brisanten Themen, wie etwa staatlicher Korruption, Waffengeschäften, Menschen- und Bürgerrechtsfragen, zum Tragen kommt, und somit sowohl Qualität als auch Quantität derartiger Berichte und Reportagen großer Schaden zugefügt wird. Ob der vom EU-Parlament beschlossene Änderungsantrag, demzufolge das Berufsgeheimnis unter anderem von Journalisten gewahrt bleiben müsse, in der Praxis ausreichend ist bleibt abzuwarten.