Braunschweiger Datenschützer warnen vor hysterischen Reaktionen auf terroristische Bedrohungen
Braunschweiger Datenschützer warnen vor hysterischen Reaktionen auf terroristische Bedrohungen
Die Deutschen sind besorgt über den globalen Terrorismus. Und das deutlich stärker, als um ihre eigene wirtschaftliche Situation. Das fand das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer aktuellen Studie heraus. So mache sich jeder dritte Deutsche “sehr große” Sorgen über den globalen Terrorismus.
"Die Befunde sind wichtig für den politischen Umgang mit Terrorismus", sagte DIW-Expertin Cathérine Müller. "Wer sich große Sorgen macht, wird eher bereit sein, Einschränkungen zu akzeptieren – etwa bei Bürger- und Freiheitsrechten."
Die Wahrscheinlichkeit, einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen, sei sehr gering. Aufgrund der fatalen Konsequenzen, die aus einem Anschlag folgen könnten, werde aber “das Risiko als sehr viel größer wahrgenommen als es tatsächlich ist”. Die Aufklärung der Bevölkerung über das „wahre“ Risiko, einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen, sei ein Ansatzpunkt, um den wirtschaftlichen und emotionalen Schaden durch die terroristischen Bedrohungen zu verringern, so die Studie des DIW.
Über dieses Misverhältnis zwischen empfundener Gefahr und Realität wollen auch die Braunschweiger Datenschützer und Bürgerrechtler rund um den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung informieren. Sie haben für den 27. September eine Demonstration unter dem Motto “Freiheit statt Angst” angemeldet.
Björn Willenberg vom AK Vorrat Braunschweig: "Unsere letzte Demonstration im Mai hat schon über 400 Bürgerinnen und Bürger erreicht. Die Gefährdung von Datenschutz und Grundrechten rücken aber mit den jüngsten Datenskandalen immer mehr in die Öffentlichkeit. Wir rechnen daher auf der Demonstration mit etwa 700 Teilnehmern, eventuell ist aber auch noch mehr drin!"
Es sei langsam an der Zeit, etwas gegen die Einschränkung der Bürgerrechte zu tun, meint auch Fabio Reinhardt, Mitorganisator der Demonstration. Trotz der geringen tatsächlichen Gefahr durch den Terrorismus werde die von der Bevölkerung gefühlte Bedrohung ausgenutzt, um immer weiter reichende Grundrechtseingriffe vorzunehmen.
“Politiker aller Couleur, allen voran Herr Schäuble, reden derzeit von besserem Datenschutz”, so Reinhardt. “Dabei wird der Schutz der Daten vor dem Staat aber komplett ausgeklammert.” Darüber hatte sich auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar nach dem kürzlich einberufenen “Datenschutzgipfel” beschwert. Er kritisierte, dass beispielsweise die Meldeämter Datensätze der Bürger weiterhin an Unternehmen verkauften. “Meine Mindestforderung ist, dass die Bürger ein allgemeines Widerspruchsrecht gegen die Weitergabe ihrer Daten im Rahmen der Melderegisterauskunft erhalten. Derzeit gibt es eine Auskunftssperre nur ausnahmsweise, etwa wenn man bedroht wird. Dies ist völlig unzureichend.” so Schaar in einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ).
Die Sensibilität für Datenschutz auch auf staatlicher Seite tendiere in der Bundesregierung “gegen Null”, so Fabio Reinhardt. Er weist neben der Meldedaten-Problematik auf weitere Gesetze und Vorhaben hin. Problematisch sei besonders die Vorratsdatenspeicherung, welche Anfang des Jahres in Kraft trat. Auch die neue SteuerID berge große Risiken. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die SteuerID mit anderen gespeicherten Daten vernetzt werde und so ein genaues Profil eines jeden Bürgers möglich würde.
Neben der Demonstration veranstalten die Braunschweiger Datenschützer einmal im Monat die sogenannte “Datenschutz-Insel” auf dem Kohlmarkt. Jens-Wolfhard Schicke, Mitglied des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung Braunschweig: “Die Datenschutz-Insel soll Bürgerinnen und Bürgern bei Fragen rund um das Thema Datenschutz helfen. Wir verteilen auch kostenlose CDs mit den wichtigsten Hilfsmitteln, um sich sicher im Internet zu bewegen oder seine E-Mails zu verschlüsseln. Wir wollen die Menschen aus erster Hand informieren, wie sie sich selbst und ihre Daten aktiv schützen können."
Kurzinfo: Vorratsdatenspeicherung
Die Vorratsdatenspeicherung wurde am November 2007 auf der Grundlage einer EU-Richtline beschlossen. Seit Anfang 2008 ist nachvollziehbar, wer mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden oder das Internet genutzt hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS wird auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten. Gegen die Vorratsdatenspeicherung wurden mehrere Verfassungsbeschwerden eingelegt, unter anderem eine Sammelklage des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung mit über 34.000 Klägern. Im März beschränkte das Bundesverfassungsgericht in einer Eilentscheidung den Zugriff auf die Daten, dieser ist seitdem nur bei einem Verdacht auf schwere Straftaten möglich.
Kurzinfo: SteuerID
Die neue Steuer-Identifikationsnummer wurde zum 1. Juli 2007 eingeführt. Sie gilt für jeden Bundesbürger ab der Geburt. Zu der Identifikationsnummer werden Name, Anschrift, Geschlecht, Geburtstag und -ort sowie das zuständige Finanzamt gespeichert. Die SteuerID soll mit dem geplanten Bundesmelderegister verknüpft werden. Bürgerrechtler kritisieren, dass es sich um eine sogenannte Personenkennziffer handele und damit verfassungswidrig sei. Die Humanistische Union strengt derzeit eine Musterklage an.
Kurzinfo: BKA-Gesetz
Das neue BKA-Gesetz soll es dem Bundeskriminalamt erlauben, präventive Ermittlungen ohne konkreten Tatverdacht durchzuführen. Weiterhin sollen Rasterfahndung, der Einsatz von verdeckten Ermittlern, Videoüberwachung des Wohnraums sowie der große Lauschangriff ermöglicht werden. Auch Unbeteiligte dürften abgehört werden, wenn sich Verdächtige oder “Gefährder” dort aufhalten. Abhörmaßnahmen wären auch gegen Berufsgeheimnisträger wie Journalisten, Strafverteidiger oder Geistliche erlaubt.
Kurzinfo: Internationale Proteste gegen Überwachung und Abbau von Freiheitsrechten am 11. Oktober
Am Samstag, dem 11. Oktober 2008 werden in Berlin und über 20 weiteren Städten in Europa und der Welt unter dem Motto "Freiheit statt Angst - Stoppt den Überwachungswahn!" auf die Straße gehen. Treffpunkt in Berlin ist der Alexanderplatz um 14.00 Uhr. Die Veranstalter rechnen mit bis zu 100.000 Teilnehmern. Von Braunschweig und über hundert weiteren Städten aus werden Demonstrationsbusse nach Berlin fahren. Sie sind unter www.demo-bus.de buchbar. Der vollständige Aufruf zur Demonstration findet sich auf der Aktionsseite www.freiheitstattangst.de
Kurzinfo: Datenschutz-Insel
Jeden zweiten Samstag des Monats klären die Braunschweiger Datenschützer von 12 bis 16 Uhr auf dem Kohlmarkt rund um die Themen Datenschutz und Überwachung auf. Der Informationsstand soll auch auf den aktuellen Zustand der Überwachung in der Gesellschaft hinweisen und über die durch Staat und Wirtschaft bedrohte Privatsphäre informieren.
Bilder zur redaktionellen Verwendung
An der letzten Demonstration am 31. Mai nahmen bundesweit über 10.000 Menschen teil, in Braunschweig waren es 400.
Hochaufgelöste Fotos auf Anfrage. Schicken Sie hierfür eine Mail an <enkode>twentythree@nm.ru</enkode> (bitte unter Angabe der beabsichtigten Verwendung).
Bei Fragen oder für mehr Informationen kontaktieren Sie bitte: Fabio Reinhardt Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, Ortsgruppe Braunschweig +49 176 23187001 <enkode>F.Reinhardt@tu-bs.de</enkode>