Freedom Not Fear 2008/Berlin de/Reden/Kreowski

Aus Freiheit statt Angst!
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Redebeitrag von Hans-Jörg Kreowski (FifF) auf der Demo "Freiheit statt Angst" am 11.10.2008 in Berlin

Liebe Kundgebungsteilnehmerinnen und -teilnehmer,

es ist wirklich großartig, dass sich so viele zu dieser Demonstration aufgerafft haben. Denn es ist höchste Zeit, dem weit verbreiteten Datenmissbrauch und dem kriminellen Umgang mit personenbezogenen Daten Einhalt zu gebieten sowie Widerstand aufzubauen gegen die ausufernde Vorratsdatenspeicherung und Überwachungshysterie.

Es ist höchste Zeit: Schluss mit Datensammelwut und Überwachungswahn.

In den letzten Monaten ist Welle um Welle von Datensammel- und Überwachungsskandalen durch die öffentlichen Medien geschwappt. Lidl hat seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausspioniert. Die Telecom hat in ihrem Management nach undichten Stellen gefahndet, durch die interne Informationen an die Presse gelangt waren. Die Länder Hessen und Schleswig-Holstein mussten die automatische Erfassung von Autokennzeichen aufgeben, weil die gesetzlichen Grundlagen verfassungswidrig waren. Mit den personenbezogenen Daten aus Callcentern und von Lotteriebetrieben wird ein schwunghafter illegaler Handel betrieben. Und gerade rechtzeitig und passend zu dieser Kundgebung tritt die Telecom in dieser Woche dreifach ins Rampenlicht. Am Anfang der Woche kommt heraus, dass sie sich schon 2006 die Daten von 17 Millionen Kundinnen und Kunden hat stehlen lassen. Sie hält es aber erst jetzt für nötig, sich bei den Betroffenen zu entschuldigen und ihnen neue Telefonnummern anzubieten. Am Freitag räumt sie mit großem Brimborium ein Datenschutzproblem ein, dass sie mit massiven Maßnahmen beseitigen will. Und nur einen Tag später wird ruchbar, dass bis vor kurzem die persönlichen Daten von 30 Millionen Handykunden der Telecom nahezu frei zugänglich im Internet verfügbar waren. Gerade dieser Fall zeigt auch, dass das am Anfang des Jahres verabschiedete Vorratsdatenspeicherungsgesetz, gegen das mit einer Vielzahl von Argumenten eine massenhafte Verfassungsbeschwerde läuft, schon allein deshalb sofort zurückgezogen werden muss, weil die Unternehmen, die die Vorratsdatenspeicherung durchzuführen haben, das gar nicht sicher und sachgerecht können. Diese Beispiele bilden aber nur die Spitze des Eisbergs. Wie man in der Preisträger- und mehr noch der Vorschlagsliste für den alljährlichen BigBrotherAward nachlesen kann, ist schludriger, missbräuchlicher und gesetzwidriger Umgang mit Personendaten und Überwachungsmaßnahmen an der Tagesordnung. Von Einzelfällen kann nicht die Rede sein. Es gibt in Staat und Wirtschaft eine ausgeprägte Tendenz, mit den Daten der Bürgerinnen und Bürger sorglos umzugehen und sich an ihnen zu vergreifen.

Das muss ein Ende haben: Schluss mit Datensammelwut und Überwachungs-wahn.

Was ist so schlimm an diesen Vorgängen? Viele denken immer noch, sie hätten nichts zu verbergen. Das mag sogar so sein, ist aber der falsche Ansatz. Der Schutz der Privatsphäre ist kein Grundrecht, weil wir alle etwas zu verbergen haben, er ein Wert an sich. Es geht niemanden - und schon gar nicht den Staat oder diejenigen, die daran verdienen wollen - etwas an, was wir essen, trinken, lesen, denken und fühlen, welche Fernsehsendungen wir anschauen, wie wir unsere Freizeit verbringen, welche Medikamente wir einnehmen, welche Vorlieben und Abneigungen wir haben. Es geht niemanden etwas an, es sei denn, wir machten es selbst bekannt. Neben dem Schutz der Privatsphäre und der informationellen Selbstbestimmung aber sind viele weitere Grundrechte sind in Gefahr: die Pressefreiheit, die Vertraulichkeit von Kontakten mit Anwälten, Ärzten, Geistlichen, Journalisten, mit der Polizei usw. Selbst die Würde des Menschen wird angetastet. Denn ein überwachter Mensch, dessen Daten umfassend gesammelt werden, verliert als “gläserner Mensch" seine Würde. Demokratische Rechte werden auf breiter Front ausgehöhlt durch den Einsatz moderner Datensammel- und Überwachungstechnik, vor allem aber durch politische Kräfte, die die Rundum-, Überall- und Allzeit-Überwachung einführen wollen. Das aber ist spätestens der Punkt, an dem umgekehrt werden muss. Die Politikerinnen und Politiker des Landes und insbesondere die gewählten Volksvertreterinnen und -vertreter müssen daran erinnert werden, dass ihre Aufgabe in einem demokratischen Staat nicht darin besteht, ihre Pfründe zu mehren oder Macht und Einfluss ihrer Partei und Interessengruppen zu sichern, sondern den demokratischen Prinzipien zur Geltung zu verhelfen. Für den Erhalt und den Ausbau der freiheitlichen Grundrechte. Für mehr Demokratie.

Schluss mit Datensammelwut und Überwachungs-wahn.

Freiheit statt Angst.

Dankeschön.

Hans-Jörg Kreowski (Professor für Theoretische Informatik an der Universität Bremen und Vorsitzender des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF))

Siehe auch

weitere Reden am 11.10.2008