Übersetzung/Romanian/Verfassungsgericht
ENTSCHEIDUNG Nr. 1258 (rumänisch, englisch)
Vom 8. Oktober 2009
Vorlage wegen Einrede der Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen des Gesetzes Nr. 298/2008 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung des Gesetzes Nr. 506/2004 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation
[Es folgen Hinweise über den Verfahrensgang, über die Einlassungen der Beteiligten und Ausführungen zu einzelnen Bestimmungen des rumänischen Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung, von deren Übersetzung abgesehen wird.]
Darüber hinaus stellt der Verfassungsgerichtshof fest, dass das gesamte Gesetz Nr. 298/2008 Bestimmungen über die Verarbeitung personenbezogener Daten enthält, welche eine Vorratsspeicherung für einen Zeitraum von 6 Monaten ab dem Zeitpunkt der Erfassung anordnen. Die Verpflichtung der Anbieter von elektronischen Kommunikationsdiensten ist dauerhafter Art. Demgegenüber besteht im Bereich der Persönlichkeitsrechte wie des Rechts auf Privatleben, auf freie Meinungsäußerung und auf Schutz personenbezogener Daten der weithin anerkannte Grundsatz, dass diese Rechte und ihre Vertraulichkeit zu garantieren und zu respektieren sind und dass den Staat in dieser Hinsicht vor allem negative Pflichten treffen, nämlich so weit wie möglich von Eingriffen in die Ausübung des Rechts oder der Freiheit abzusehen. Mit diesem Ziel wurden die Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, das Gesetz Nr. 677/2001 über den Schutz von Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und den freien Datenverkehr, und das Gesetz Nr. 506/2004 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation verabschiedet. Ausnahmen sind abschließend erlaubt, soweit dies die Verfassung und die geltenden internationalen Übereinkünfte in diesem Bereich zulassen. Das Gesetz Nr. 298/2008 bildet eine solche Ausnahme, wie sein Titel zeigt.
Die durch das Gesetz Nr. 298/2008 begründete Verpflichtung zur Vorratsspeicherung von Daten weicht von dem Grundsatz des Schutzes persönlicher Daten und ihrer Vertraulichkeit in Art, Umfang und Anwendungsbereich ab, obgleich dieses Prinzip mit Gesetz 677/2001 und Gesetz Nr. 506/2004 verbürgt ist. Es ist allgemein anerkannt in der Rechtsprechung des Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte, zum Beispiel in der Entscheidung Prinz Hans-Adam II. von Liechtenstein gegen Deutschland aus dem Jahr 2001, dass die Mitgliedstaaten mit der Unterzeichnung der Konvention über die Menschenrechte und Grundfreiheiten Verpflichtungen eingegangen sind, darunter die Pflicht, durch Verabschiedung der erforderlichen Gesetze sicherzustellen, dass die in der Konvention garantierten Rechte praktisch und effektiv - und nicht nur theoretisch und ideell - geschützt werden. Die rechtliche Verpflichtung zur kontinuierlichen Vorratsspeicherung persönlicher Daten macht die Ausnahme vom Grundsatz des Schutzes des Rechts auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit zur Regel. Das Grundrecht scheint in einer negativen Art und Weise geregelt zu werden, und seine positive Seite verliert ihren vorherrschenden Charakter.
In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass die Bestimmungen von Artikel 911 der Strafprozessordnung den Ausnahmecharakter des Abfangens oder Aufzeichnens von Ton und Bild respektieren, indem dies nur unter strengen Bedingungen und im Einzelfall nach Anordnung des zuständigen Richters zugelassen wird und pro Straftat und Person insgesamt die Dauer von 120 Tagen nicht überschreiten darf. Stattdessen führt das Gesetz Nr. 298/2008 als Regel ein, was die Strafprozessordnung nur als strenge Ausnahme vorsieht, indem es die fortlaufende Aufbewahrung von Daten für die Dauer von sechs Monaten ab ihrer Erfassung vorsieht, damit auf richterliche Anordnung auf die in der Vergangenheit angefallenen - und nicht nur auf die zukünftig anfallenden - Daten zugegriffen werden kann. Auf diese Weise führt die Einführung einer positiven Verpflichtung, welche die fortwährende Einschränkung des Rechts auf Privatsphäre und auf vertrauliche Korrespondenz vorsieht, zur Beseitigung des Kerngehalts dieses Rechts, indem die Schutzvorkehrungen zur Gewährleistung der Ausübung des Rechts beseitigt werden. Die Kommunikation natürlicher und juristischer Personen - der Vielzahl der Nutzer öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Netze - wird permanent dieser Einmischung in die Ausübung ihrer Rechte auf vertrauliche Korrespondenz und freie Meinungsäußerung ausgesetzt, ohne dass von diesen Rechten noch frei und unzensiert Gebrauch gemacht werden kann, außer im Wege direkter Kommunikation, was aber einen Ausschluss von den heutigen Hauptkommunikationsmitteln bedeutet.
Die natürliche Logik dieser Analyse und Prüfung ist, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten werden muss, welcher ein weiteres zwingendes Erfordernis bildet, das Einschränkungen der Ausübung der Rechte und Freiheiten wahren müssen, wie ausdrücklich in Art. 53 Abs. 2 der Verfassung bestimmt ist. Dieser Grundsatz erfordert, dass das Ausmaß der Grundrechtsbeschränkung der Situation, die zu ihrer Einführung geführt hat, entsprechen muss und dass die Grundrechtsbeschränkung mit dem Wegfall ihres Anlasses beendet werden muss.
So entsprechen die Bestimmungen des Artikels 911 der Strafprozessordnung in vollem Umfang den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, sowohl hinsichtlich des Ausmaßes der Eingriffsmaßnahme wie auch hinsichtlich des Gebots, die Maßnahme sofort einzustellen, wenn ihre Voraussetzungen entfallen sind. Stattdessen verlangt aber das Gesetz Nr. 298/2008 die kontinuierliche Vorratsspeicherung von Daten vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an (d.h. 20. Januar 2009 bzw. 15. März 2009 für Internet-Zugangsdienste, elektronische Post und Internettelefonie), ohne das Erfordernis zu berücksichtigen, dass die Maßnahme mit dem Wegfall des Grundes beendet werden muss, der zu ihrer Einführung geführt hat. Der Eingriff in die freie Ausübung des Rechts findet kontinuierlich statt und unabhängig davon, ob bestimmte Tatsachen vorliegen, welche die Maßnahme rechtfertigen, um eine schwere Straftat zu verhindern oder - nachdem sie begangen worden ist - aufzuklären.
Eine ungerechtfertigte Beschränkung des Rechts auf Privatsphäre liegt auch deswegen vor, weil das Gesetz Nr. 298/2008 nicht nur die Person identifizierbar macht, die eine Nachricht über einen beliebigen Kommunikationsweg sendet, sondern - wie sich aus dem Inhalt von Artikel 4 ergibt - auch den Empfänger dieser Informationen. Der Angerufene wird einer Vorratsspeicherung von Daten über sein Privatleben ausgesetzt, ohne dass eine Handlung oder Willensäußerung von seiner Seite vorläge, nur wegen des Verhaltens einer anderen Person - des Anrufers -, dessen Handlungen er nicht kontrollieren kann, um sich beispielsweise vor Bösgläubigkeit, kriminellen Absichten, Belästigungen usw. zu schützen. Obwohl er die passive Seite der Kommunikationsbeziehung darstellt, kann der Angerufene aufgrund der Beziehung zum Anrufer ungewollt zum Ziel staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen werden. In dieser Hinsicht erscheint die im Gesetz Nr. 298/2008 liegende Einmischung in das Privatleben des Einzelnen exzessiv.
Der Verfassungsgerichtshof betont, dass die legale Nutzung unter den Bedingungen des Gesetzes Nr. 298/2008 nicht für sich genommen das Recht auf Privatsphäre oder die Meinungsfreiheit auf eine nicht hinnehmbare Weise verletzt, sondern vielmehr die fortwährende und allgemeine gesetzliche Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung. Diese Maßnahme betrifft alle Personen gleichermaßen, ob sie eine strafbare Handlung begangen haben oder nicht, ob gegen sie ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt wird oder nicht, was die Gefahr birgt, dass die Unschuldsvermutung ausgehebelt wird und dass von vornherein alle Nutzer elektronischer Kommunikationsdienste und öffentlicher Kommunikationsnetze unter den Verdacht gestellt werden, terroristische oder sonstige schwere Straftaten begangen haben zu können. Obwohl das Gesetz Nr. 298/2008 strafprozessuale Begriffe und Verfahren verwendet, hat es einen weiten Anwendungsbereich - es erstreckt sich praktisch auf alle natürlichen und juristischen Benutzer öffentlich zugänglicher Kommunikationsdienste und Kommunikationsnetze -, so dass es nicht als vereinbar mit den Bestimmungen der Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention erachtet werden kann, welche die Gewährleistung des Rechts auf Privatleben, das Briefgeheimnis und die Meinungsfreiheit garantieren.
Der Verfassungsgerichtshof stellt fest, dass obwohl sich das Gesetz Nr. 298/2008 auf Daten überwiegend technischer Art bezieht, sich den vorratsgespeicherten Daten Informationen über den Einzelnen und sein Privatleben entnehmen lassen. Auch wenn das Gesetz nach seinem Artikel 1 Abs. 3 nicht auf den Kommunikationsinhalt oder auf Informationen anwendbar ist, die über ein elektronisches Kommunikationsnetz abgerufen werden, vereiteln und hemmen die zu speichernden Daten (welche die Identifizierung des Anrufers und des Angerufenen ermöglichen sollen, nämlich Nutzer und Empfänger einer elektronisch vermittelten Information, Ziel, Zeit und Dauer der Kommunikation, die Art der Kommunikation, das eingesetzte Endgerät, der Standort mobiler Endgeräte sowie andere „diesbezügliche Informationen“ - die das Gesetz nicht definiert -) wahrscheinlich die freie Ausübung der Rechte auf Fernmelde- und Meinungsfreiheit. Die fortwährende Vorratsspeicherung solcher Daten über jeden Benutzer eines öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienstes oder öffentlicher Kommunikationsnetze, von welcher die Anbieter unter der Strafandrohung des Artikels 18 des Gesetzes Nr. 298/2008 nicht abweichen dürfen, reicht aus, um in den Menschen die berechtigte Sorge um die Wahrung ihrer Privatsphäre und die Furcht vor einem möglichen Missbrauch zu wecken. Die gesetzlichen Schutzvorkehrungen hinsichtlich der konkreten Verwendung der gespeicherten Daten – den Ausschluss von Inhalten von der Speicherung, die erforderliche vorherige Genehmigung des Präsidenten des zuständigen Gerichts bezüglich eines eingeleiteten Strafverfahrens, die in Artikel 16 des Gesetzes gefordert wird, sowie die Androhung von Strafen in den Artikeln 18 und 19 des Gesetzes – sind weder ausreichend noch angemessen, um die Furcht vor einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte, etwa des Rechts auf Privatsphäre, zu nehmen und um sicherzustellen, dass ihre Ausübung in hinnehmbarer Weise erfolgen kann.
Wie bereits erwähnt, verkennt der Verfassungsgerichtshof nicht die Gründe, die den Gesetzgeber zur Verabschiedung des Gesetzes Nr. 298/2008 geführt haben, wonach es unabdingbar ist, ausreichende und wirksame rechtliche Mittel zur Verfügung zu stellen, die der kontinuierlichen Modernisierung und Entwicklung von Kommunikationsmitteln Rechnung tragen, damit das Auftreten von Kriminalität kontrolliert und bekämpft werden kann. Deshalb können die Rechte des Einzelnen nicht willkürlich ausgeübt werden, sondern dürfen Einschränkungen unterworfen werden, die – an ihrem jeweiligen Ziel gemessen – gerechtfertigt sind. Die Ausübung persönlicher Rechte einzuschränken, um Rechte und Interessen der Allgemeinheit im Hinblick auf die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder die Verhütung von Straftaten zu wahren, ist schon immer eine sensible Angelegenheit gewesen, damit ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den Interessen und Rechten des Einzelnen auf der einen Seite und den Interessen der Gesellschaft auf der anderen Seite hergestellt werden kann. Es ist auch wahr, wie bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Rechtssache Klass und andere gegen Deutschland im Jahr 1978 bemerkt hat, dass Eingriffsmaßnahmen ohne ausreichende Garantien dazu führen können, „die Demokratie mit der Begründung, sie zu verteidigen, zu untergraben oder sogar zu zerstören“.
Im Ergebnis - insbesondere in Anbetracht des weiten Geltungsbereichs des Gesetzes Nr. 298/2008, des dauerhaften Charakters der Pflicht, Verbindungs- und Standortdaten von Einzelpersonen und Unternehmen als Nutzer öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste und Kommunikationsnetze sowie andere „Informationen zu ihrer Identifikation“ auf Vorrat zu speichern - befindet der Gerichtshof aus den oben ausgeführten Gründen das gesamte untersuchte Gesetz für verfassungswidrig, selbst wenn derjenige, der die Einrede der Verfassungswidrigkeit erhebt, besonders an den Artikeln 1 und 15 des Gesetzes Anstoß nimmt.
Aus den vorbezeichneten Gründen und gemäß Artikel 146 Buchstabe d) und Artikel 147 Absatz 4 der Verfassung und den Artikeln 1 und 3 sowie Artikel 11 (1) lit. Ad) und Artikel 29 des Gesetzes Nr. 47/1992, im Wege der mehrheitlichen Abstimmung,
entscheidet
der Verfassungsgerichtshof
im Namen des Gesetzes:
Die Einrede der Verfassungswidrigkeit, welche das Kommissariat der Zivilgesellschaft (Comisariatul pentru Societatea Civilă) vor der Handelskammer des Bukarester Gerichts im Verfahren Nr. 2971/3/2009 erhoben hat, ist zulässig. Die Bestimmungen des Gesetzes Nr. 298/2008 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung des Gesetzes Nr. 506/2004 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation sind verfassungswidrig.
Unanfechtbar und allgemein verbindlich.
Beiden Kammern des Parlaments sowie der Regierung mitzuteilen.
Verkündet in öffentlicher Sitzung am 08.10.2009.