Augsburg/Aktionen/Protestbrief an Gribl

Aus Freiheit statt Angst!
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Sehr geehrter Dr. Gribl,

wie viele Bürger Augsburgs waren wir bestürzt über die Rücksichtslosigkeit und die Rohheit der Gewalttat, die sich vor wenigen Wochen am Theodor-Heuss-Platz zutrug. Wie dem Polizeibericht zu entnehmen ist, wurde eine Person im Verlaufe eines Streits gegen einen einfahrenen Bus gestoßen und schwer verletzt. Dieser Vorfall ist erschreckend und zeigt die Enthemmtheit im gesellschaftlichen Miteinander. Für uns als Bündnis für den Erhalt der Freiheits- und Bürgerrechte war es leider sehr bedauerlich zu lesen, dass Sie und weitere Vertreter der Stadtführung als die naheliegenste Lösung zur Verhinderung solcher Gewalttaten einen Ausbau der Videoüberwachung forderten. Dagegen setzen wir uns entschieden zur Wehr und insistieren in Sie und alle Entscheidungsträger, die Faktenlage neu zu überdenken. Für die weitere Sachdebatte haben wir Ihnen eine argumentative Grundlage - in Form eines Informationsfolders vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung - diesem Schreiben beigefügt und stehen für ein konstruktives Gespräch in persönlichem Rahmen gerne bereit. Die wichtigsten Fakten, die gegen den Ausbau der öffentlichen Videoüberwachung sprechen in aller Kürze:

Kameras verhindern kein Verbrechen

Egal wie viele Kameras aufgestellt werden, nicht ein einziges Verbrechen wird dadurch verhindert. Straftäter, die im Affekt handeln oder beispielsweise unter Alkoholeinfluß stehen, werden sich durch die Präsenz einer Kamera nicht von ihren Vorhaben abbringen lassen. Bei geplanten Straftaten, wie z.B. Raub und Überfallsdelikten, werden Überwachungsmaßnahmen bewußt eingeplant und umgangen. Nicht einmal die nachträgliche Auswertung der aufgezeichneten Bilder führt zu einer messbaren Erhöhung der Aufklärungsquote. Siehe hierzu in den Hintergrundinformationen und dem Infofolder.

Hohe Kosten, die an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden können

Die Installation und der spätere Betrieb von Videokameras bindet auf Jahre hinaus beträchtliche Gelder aus dem Haushalt der Kommune. Nicht nur, dass die Wirksamkeit nicht belegt ist und es damit schwer fallen wird, eine Akzeptanz bei der Bevölkerung herzustellen; Selbst aus den Reihen der Polizeigewerkschaft wird eine bessere Ausstattung, die Aufstockung des Personals sowie die kontinuierliche Aus- und Weiterbildung gefordert, noch weit vor der Investition in teure Hightech-Überwachung. Bis jetzt jedoch haben wir nur über repressive Maßnahmen gesprochen, die erst bei der Verbrechensbekämpfung ansetzen. Viel wichtiger ist es jedoch, weiter in die Prävention zu investieren, so dass dauerhaft ein friedliches und sicheres Lebensgefühl entsteht. Konkrete Maßnahmen hierzu sind Schulpsychologen, sinnvolle Ganztagsbetreuung und attraktive Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche, aber auch die Stärkung der Arbeit von Streetworkern und in letzter Konsequenz die Verurteilung hartnäckiger Straftäter durch wirksame und faire Jugendgerichte.

Missbrauch ist nicht zu verhindern

Die Forderung nach dem Ausbau der Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist für uns ein weiterer Schritt in die allgegenwärtige und vollumfängliche Totalüberwachung aller Bürger. Der nicht nachweisbare Nutzen sowie die hohen Kosten rechtfertigen in keinster Weise den Einstieg in die Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen; noch dazu vor der nicht wegzudiskutierenden Gefahr des Missbrauchs. Die omnipräsente Überwachung treibt Stilblüten in Form eines unkontrollierbaren Schwarzhandels der intimsten, peinlichsten und vermeintlich witzigsten Aufnahmen von Überwachungskameras. Diese Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Einzelnen ist nicht hinnehmbar und durch keine technische Maßnahme zu vermeiden - Alleine eine einzige ordnungspolitische Maßnahme würde hier von vornherein Abhilfe schaffen: Keine Überwachungskameras aufzustellen.

Weitere Hintergrundinformationen haben wir exemplarisch zur Videoüberwachung im öffentlichen Raum zusammengetragen, die relevant sind:

1.) Verkehrsbetriebe Berlin: Videoüberwachung brachte keinen Sicherheitsgewinn Im Rahmen eines Pilotprojekts zusammen mit den Berliner Verkehrsbetrieben wurde die Wirksamkeit von Videoüberwachung in öffentlichen Verkehrsmitteln analysiert. Das Ergebnis war ernüchternd: Kameras leisteten nur in verschwindend geringer Zahl einen wirklichen Beitrag bei der Aufklärung von Straftaten [1].

2.) Scotland Yard: Videoüberwachung ist ineffizient Die englische Hauptstadt gehört zu den Städten mit der dichtesten Videoüberwachung weltweit. Dennoch stehen selbst aus Sicht der dortigen Polizei die eingesetzten Mittel in keinem Verhältnis zur Verbesserung der Aufklärungsquote von Verbrechen [2].

[1] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Studie-Videoueberwachung-in-Berliner-U-Bahn-brachte-keinen-Sicherheitsgewinn-183294.html
[2] http://www.golem.de/print.php?a=59485

Wir erwarten eine sachliche Debatte und gründliche Betrachtung aller Argumente, sowohl von Befürwortern, als auch Kritikern der öffentlichen Videoüberwachung. Um teure Fehlinvestitionen zu vermeiden, ist es dringend notwendig, die Erörtertung der Sachlage vor die Entscheidung über die Ausweitung zur Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen im Stadtgebiet Augsburg zu setzen.



Mit freundlichen Grüßen

Christian Steinherr



Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung - Augsburg