Befragung der Bundesregierung zum BKA-Gesetz am 4. Juni 2008
Das neue BKA-Gesetz
Auf dieser Seite wird eine Analyse der Befragung des BMI-Schäuble zum BKA-Gesetz versucht.
165. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 4. Juni 2008 Beginn: 13.00 Uhr
Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Als Thema der heutigen Kabinettssitzung hat die Bundesregierung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Kabinett hat heute den Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt beschlossen. Wir setzen damit als Gesetzentwurf um, was wir als Verfassungsgesetzgeber in der Föderalismusreform I im Jahre 2006 in das Grundgesetz eingefügt haben. Abweichend von der bisherigen Ordnung unseres föderalen Sicherheitssystems, in dem die Polizeien der Länder ausschließlich für die präventive polizeiliche Gefahrenabwehr zuständig sind - eine kleine Ausnahme ist die Bundespolizei mit ihrem engen Bereich der Grenzkontrolle und der bahnpolizeilichen Aufgaben -, soll in Zukunft auch das Bundeskriminalamt eine Gefahrenabwehrbefugnis zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus bekommen. Das war die Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers angesichts der schwerwiegenden Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus. Diese Entscheidung setzen wir mit diesem Gesetzentwurf um. Wir haben bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes natürlich die Landespolizeigesetze, in denen bisher die Aufgabe polizeilicher Gefahrenabwehr ausschließlich geregelt wurden, zum Vorbild genommen und haben das, was sich in den Gesetzen aller Bundesländer an gesetzlichen Instrumenten zur polizeilichen Gefahrenabwehr bewährt hat, in diesen Gesetzentwurf eingefügt. Wir haben dabei neuere technische Entwicklungen und Entwicklungen in der Verfassungsdebatte berücksichtigt. Aber wir haben das Rad nicht neu erfunden. Manche haben in der öffentlichen Debatte um den Gesetzentwurf nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Bund bisher keine polizeiliche Gefahrenabwehrbefugnis hatte. Deswegen gab es auch keine entsprechenden Verfahren. Ich will daher zu einigen Punkten, die in der Debatte eine Rolle gespielt haben, einige wenige Bemerkungen machen. Wir haben in der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bundeskriminalamt und Landespolizeien bzw. Landeskriminalämtern mit der Formulierung des § 4 a des Gesetzentwurfes sichergestellt, dass den Landeskriminalämtern bzw. Landespolizeien keinerlei Befugnisse genommen werden, sondern dass die Gefahrenabwehrbefugnis des Bundeskriminalamtes additiv hinzukommt, sodass die Zusammenarbeit zwischen Bundeskriminalamt und Landespolizeien - die im Alltag, etwa im GTAZ, reibungslos funktioniert - samt einer ständigen Unterrichtung gewährleistet ist. All die polizeilichen Ermittlungsinstrumente, die die Polizeien zur Gefahrenabwehr brauchen, etwa die Befragung von Personen oder Platzverweise sowie alle anderen Instrumente, die man zur polizeilichen Gefahrenabwehr auch braucht, haben wir in den Gesetzentwurf gemäß den Auflagen unseres Grundgesetzes aufgenommen, wonach Eingriffe in grundgesetzlich geschützte Bereiche nur unter strengen gesetzlichen Voraussetzungen und durch richterliche Entscheidungen im Einzelfall erlaubt sind. Dieser Grundsatz wurde in diesem Gesetzentwurf umfassend berücksichtigt. Ein Teil der Öffentlichkeit hat in diesem Zusammenhang überhaupt erst zur Kenntnis genommen, dass unser Grundgesetz in Art. 13 die polizeiliche Gefahrenabwehr höher bewertet als die repressive Strafverfolgung und das Bundeskriminalamt bisher nur nach den Regeln der Strafprozessordnung tätig werden konnte. Der Gesetzentwurf sieht dementsprechend vor, dass die Wohnraumüberwachung nach Art. 13 des Grundgesetzes zur Gefahrenabwehr eingesetzt werden kann. In den Landespolizeigesetzen ist das bereits entsprechend geregelt. Infolgedessen haben wir diese Regelung in den Gesetzentwurf aufgenommen. Das entspricht der Erfahrung, die wir mit den Landespolizeigesetzen gemacht haben. Das ist nichts Überraschendes, sondern entspricht Art. 13 des Grundgesetzes. Überraschend war nur, dass man in der öffentlichen Debatte feststellen konnte, dass manch einer, der sich in der Debatte zu Wort gemeldet hat, diesen Artikel nicht kannte. Wir haben klargestellt, dass die TKÜ - das betrifft etwa die neue Kommunikationstechnologie Voice over IP - den Regeln der Telekommunikation und der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Das ist kein neues Ermittlungsinstrument, sondern eine Klarstellung. Wir schaffen erstmals eine gesetzliche Grundlage für Onlinedurchsuchungen. Dafür werden enge Voraussetzungen gelten. Diese Regelung ist notwendig geworden, weil die von der früheren Bundesregierung eingeführte Praxis einer analogen Anwendung der bestehenden gesetzlichen Regelungen vom Bundesgerichtshof als nicht zureichend erklärt worden ist. Deswegen müssen wir eine eigene gesetzliche Grundlage dafür schaffen. Das ist unter engen Voraussetzungen möglich. Wir schützen den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, wie es der Verfassung entspricht. Bei der akustischen Überwachung, bei der Telekommunikationsüberwachung, schützen wir den Kernbereich folgendermaßen: Das Band darf weiterlaufen, wenn der Kernbereich berührt sein könnte. Der anordnende Richter muss entscheiden, ob der Kernbereich berührt ist. Bejaht er dies, muss das Material unter Protokollierung vernichtet werden. Bei der Onlinedurchsuchung haben wir dasselbe System. Die Onlinedurchsuchung muss durch den Präsidenten des Bundeskriminalamtes oder seinen Stellvertreter beantragt werden, das zuständige Amtsgericht entscheidet. Wenn die Maßnahme angeordnet ist, wird das aufgekommene Material durch zwei beamtete Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes, von denen mindestens einer die Befähigung zum Richteramt haben muss, gesichtet. Wenn bei der ersten Sichtung der Eindruck entsteht, dass kernbereichrelevantes Material enthalten sein könnte, muss das Material dem anordnenden Gericht genau wie bei der Telekommunikationsüberwachung vorgelegt werden. Das entspricht unserem Grundgesetz. Diese Regelung ist deswegen ohne jeden Zweifel verfassungsrechtlich richtig und sachlich notwendig. Eine letzte Bemerkung: Zur polizeilichen Gefahrenabwehr brauchen wir natürlich - wie immer - auch eine Eilbefugnis. Deshalb kann bei Gefahr in Verzug der Präsident des Bundeskriminalamts die Maßnahme anordnen. Er muss unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeiführen. Erhält er nicht innerhalb von drei Tagen eine richterliche Genehmigung, muss die Maßnahme beendet werden. Auch das entspricht den Regelungen zur polizeilichen Gefahrenabwehr in allen Landesgesetzen. Dieser Gesetzentwurf ist ein wichtiger Baustein unserer Sicherheitsarchitektur. Er versetzt unsere Sicherheitsbehörden insgesamt verstärkt in die Lage, die Einhaltung von Verfassung und Gesetz in diesem Land zu gewährleisten. Gesetze allein reichen nicht. Sie müssen auch eingehalten werden. Der Staat muss garantieren, dass sie eingehalten werden. In anderem Zusammenhang erleben wir, wie notwendig es ist, dass staatliche Organe auf der Grundlage von Verfassung und Gesetz die Einhaltung von Gesetzen garantieren. Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Die erste Nachfrage zu diesem Bericht kommt von der Kollegin Piltz.
Gisela Piltz (FDP): Herr Innenminister, Sie wissen, dass das ein Thema ist, mit dem wir uns schon lange inhaltlich auseinandersetzen. Insbesondere Ihre Argumentation zu den Onlinedurchsuchungen finde ich interessant. In der Tat sind Onlinedurchsuchungen unter Rot-Grün veranlasst worden. Aber ich kann mich gut erinnern, dass Sie mir vor anderthalb Jahren gesagt haben, sie bräuchten keine Rechtsgrundlage. Von daher ist jeder Fortschritt zu begrüßen, auch wenn wir diese Maßnahme kritisch sehen. Sie haben hier ausgeführt, dass dieser Entwurf zum BKA-Gesetz einen Fortschritt für die polizeiliche Arbeit bedeutet. Das ist aus Ihrer Sicht sicherlich richtig. Man darf aber nicht verschweigen, dass es Ihnen gelungen ist, alles, was in den 16 Polizeigesetzen vorgesehen ist, in einen Gesetzentwurf zusammenzukehren. Das Fazit lautet: Mehr geht nicht. Denn nicht jedes Polizeigesetz der Länder beinhaltet alle diese Maßnahmen. Sie fassen jetzt alles in diesem Gesetzentwurf zusammen. Wir finden bemerkenswert, wie Sie das gemacht haben. Meine Frage bezieht sich auf die Onlinedurchsuchungen. Wenn Sie eine heimliche Onlinedurchsuchung durchführen lassen, können Sie diese Daten nach § 20 v Ihres Gesetzentwurfes an den Verfassungsschutz weitergeben; das ist da so geregelt. Damit umgehen Sie möglicherweise das Trennungsgebot, das in diesem Land immer noch gilt und aus unserer Sicht auch dringend gelten muss, und zwar so, dass der Verfassungsschutz an Informationen aus einer heimlichen Onlinedurchsuchung kommt, ohne dass er dafür eine eigene Rechtsgrundlage hat. Ich würde Sie gerne fragen, wie Sie das mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbaren. Denn Sie haben keine Rechtsgrundlage dafür. Der Verfassungsschutz braucht aus meiner Sicht eine Rechtsgrundlage, um Onlinedurchsuchungen durchzuführen oder an Erkenntnisse, die durch Onlinedurchsuchungen gewonnen wurden, zu kommen.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: Frau Kollegin, wir haben in diesem Gesetzentwurf - wie auch in allen anderen Gesetzen - den Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden streng geregelt. Es ist nicht so, dass das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten, das wir ja beachten und berücksichtigen, bedeutet, dass sich die Behörden nicht gegenseitig Informationen zur Verfügung stellen können. Dann bräuchten wir keinen Verfassungsschutz. Wenn der Verfassungsschutz den Polizeien Informationen nicht zur Verfügung stellen dürfte - so lautet Ihre Interpretation des Trennungsgebotes -, dann wäre seine Arbeit umsonst, unnütz und hätte keinen Sinn. Deswegen haben wir beispielsweise das GTAZ, das ich vorher schon erwähnt habe. Ich rate Ihnen, es einmal zu besuchen. Dann werden Ihre Albträume ein Stück weit durch die Wirklichkeit widerlegt. Dort arbeiten die Behörden auf der Grundlage geltender Gesetze zusammen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich, wie Sie in Ihrer Frage behauptet haben, einmal gesagt habe, man brauche für Onlinedurchsuchungen keine Rechtsgrundlage. Solch einen Unsinn kann ich niemals gesagt haben. Das ist wirklich ausgeschlossen. Denn in unserem Grundgesetz steht - ich habe es dabei -, dass man in grundrechtlich geschützte Bereiche nur aufgrund eines Gesetzes eingreifen darf. Das ist die Systematik unseres Gesetzes. Sie sagen, wir hätten uns aus den Polizeigesetzen der Länder alles zusammengesucht. Die meisten Polizeigesetze haben ziemlich übereinstimmende Regelungen. Mit einem haben Sie aber in der Tat recht - ich vermute, dass Sie der Föderalismusreform I zugestimmt haben -:
(Gisela Piltz [FDP]: Nein!)
- Nein? Dann war das ein Fehler; aber das ist Ihre Sache.
(Gisela Piltz [FDP]: Das ist Ihre Interpretation!)
Der Verfassungsgesetzgeber hat gesagt, dass es sich um eine besonders schwere Gefahr handelt. Sonst wäre er nicht - mit Zustimmung des Bundesrates - entgegen der Ordnung unseres Grundgesetzes, dass polizeiliche Gefahrenabwehr Sache der Länder und nicht des Bundes ist, auf die Idee gekommen, zu sagen: Diese Gefahr ist so schwerwiegend, dass auch das Bundeskriminalamt zuständig sein muss. Es geht nicht um Handtaschendiebstahl, sondern um Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus. Ein Gesetzentwurf, der die Instrumente der Landesgesetze, die man zur Abwehr der allgemeinen Kriminalität hat, nicht auch zur Abwehr dieser Gefahr vorsehen würde, würde der Verantwortung einer Bundesregierung und eines Parlaments nicht gerecht werden.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Wieland hat die nächste Frage.
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Bundesminister. Nach unserer Einschätzung werden wir eine Art deutsches FBI bekommen. Einige wollen das ja. Andere behaupten, dass das nicht stimmt. Jedenfalls wird Polizei in diesem zentralen Bereich nicht mehr Ländersache, sondern Bundessache sein. Die Länder dürfen mitarbeiten. Einvernehmen ist offenbar nicht notwendig, sondern nur Benehmen. Die Generalbundesanwältin wird nach diesem Gesetzentwurf nicht einmal mehr informiert; sie ist völlig außen vor. Einzige Voraussetzung ist: Gefahr von grenzüberschreitendem Terrorismus. Diese Gefahr werden wir - das sage ich, ohne Schwarzseher sein zu wollen - in den nächsten 20 Jahren täglich erleben. Das heißt, zunächst einmal ist das BKA für alles in diesem Bereich zuständig.
Meine Frage in diesem Zusammenhang ist: Welche Sicherheitslücke gab es denn bis zum heutigen Tage bzw. gibt es bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes? Der 11. September 2001 ist mittlerweile fast sieben Jahre her, und Sie sind im dritten Jahr Ihrer Amtszeit. Wie konnten Sie es eigentlich verantworten, ohne diese Präventivbefugnisse Innenminister zu sein? Daran anschließend: Wer soll das BKA eigentlich kontrollieren? Die Nachrichtendienste werden - man streitet darüber, ob das effektiv ist oder nicht - vom Parlamentarischen Kontrollgremium und dann, wenn sie abhören, sogar noch von der G-10-Kommission kontrolliert. Wer wird das BKA, dem ebenfalls das gesamte nachrichtendienstliche Instrumentarium zur Verfügung steht - es darf verdeckte Ermittler, V-Leute und das gesamte Spektrum der Nachrichtentechnik einsetzen -, kontrollieren?
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, Schäuble!)
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: Herr Kollege Wieland, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, waren Sie einmal Mitglied einer Landesregierung.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das haben Sie richtig in Erinnerung!)
Dann sollten Sie nicht völlig vergessen haben, dass nach der Landesgesetzgebung die Landespolizeien auf der Grundlage gesetzlicher Befugnisse die Aufgabe der polizeilichen Gefahrenabwehr wahrnehmen; das gilt auch im Land Berlin. Wenn in grundgesetzlich geschützte Bereiche eingegriffen wird - das ist bei der Berliner Polizei nicht anders als bei der baden-württembergischen Polizei, und das gilt in diesem engen Bereich der Gefahrenabwehr in Zukunft auch für das Bundeskriminalamt -, dann ist dafür eine richterliche Genehmigung notwendig, die beantragt werden muss. Sie haben übrigens - da Sie Anwalt sind, sollte ich Ihnen das eigentlich nicht erklären müssen; aber Ihre Äußerungen zeigen die Notwendigkeit, das dennoch zu tun -
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
nicht berücksichtigt, dass es einen Unterschied zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr gibt.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh doch!)
Bei der Strafverfolgung hat die Staatsanwaltschaft die Federführung; das war schon immer so. Bei der Gefahrenabwehr muss die Staatsanwaltschaft nicht informiert werden, auch die Bundesanwaltschaft nicht. Insofern haben Sie hier etwas verwechselt. Es wäre hilfreich, wenn Sie das im weiteren Verlauf dieser Debatte nicht mehr verwechseln würden. Denn sonst könnten Sie den Eindruck erwecken, Sie wüssten nicht genau, wovon Sie reden. Das wäre doch furchtbar. Wir reden jetzt nicht über die Strafverfolgung,
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben!)
sondern ausschließlich über die Gefahrenabwehr. Ich habe gerade noch einmal nachgeschaut, was der Verfassungsgesetzgeber in Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 a des Grundgesetzes festgelegt hat. Dort heißt es: Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht. Diese Vorgabe des Verfassungsgesetzgebers setzen wir mit diesem Gesetzentwurf um. Der Verfassungsgesetzgeber hatte sicherlich gute Gründe, das so vorzuschreiben, egal wie die einzelnen Mitglieder des Bundestages auch abgestimmt haben mögen. Nun greifen dieselben Mechanismen, die bei der polizeilichen Gefahrenabwehr im Lande Berlin und in allen anderen Bundesländern auch bereits seit Jahrzehnten angewandt werden. Somit sind alle Verdächtigungen, die Sie hier insinuieren, im besten Fall durch mangelnde Sorgfalt, wahrscheinlich aber - da man Ihnen keine mangelnde Sorgfalt unterstellen kann - eher durch böse Absicht zu erklären. Das ist nicht in Ordnung. Weil, Herr Kollege Wieland, wir wirklich aufhören sollten, unsere Bevölkerung zu verunsichern und unserer Bevölkerung einzureden, dieser freiheitliche Rechtsstaat - in den engen Begrenzungen unserer Verfassung und der Handlungsmöglichkeiten seiner Organe, die notwendig sind, um Sicherheit, Freiheit und Grundrechte zu schützen - der bedrohe diese Freiheit.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist eine Diffamierung, die die Institutionen unseres Verfassungsstaates, der Bundesgesetzgeber und der Verfassungsgesetzgeber nicht verdient haben und die nicht geeignet ist, diese Freiheit zu sichern, sondern eher, sie zu gefährden.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Richtig!)
Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Wieland noch einmal.
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, dass ich unsere freiheitliche Demokratie diffamiere, indem ich nach Kontrollmechanismen frage, das ist Ihre Interpretation. Wenn auch ich Ihnen einmal einen Rat geben darf: Sie sollten als Verfassungsminister mehr Gelassenheit an den Tag legen und die Opposition weniger beschimpfen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)
Die Sorge um die vielfältigen Eingriffsbefugnisse, die in meiner Frage zum Ausdruck kam, habe nicht nur ich. Es geht in diesem Zusammenhang um das Polizeirecht. Allerdings muss noch nicht einmal eine Straftat vorliegen, und anders als in den Fällen, die Sie geschildert haben, handelt es sich hierbei nicht um Ausnahmefälle, zum Beispiel um eine Geiselnahme in einem Bundesland, sondern um die tägliche Arbeit des BKA. Das ist der große qualitative Unterschied. Deswegen frage ich Sie jetzt noch einmal nach einem Detail, nämlich nach dem Schutz der Berufsgeheimnisträger. Lese ich Ihren Entwurf richtig, dass nach § 20 c Abs. 3 selbst Berufsgeheimnisträger im Fall von Gefahr für Leib und Leben einer Person oder für die Sicherheit des Staates nicht zur Verweigerung der Auskunft berechtigt sind und dass auch gegen Berufsgeheimnisträger - und zwar gegen alle Berufsgeheimnisträger - verdeckte Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt werden können? Wie wollen Sie das eigentlich begründen?
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: Herr Kollege Wieland, ich sage noch einmal: Wir setzen mit diesem Gesetzentwurf den Auftrag des Verfassungsgesetzgebers um. Wir müssen dem Auftrag von Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 a Grundgesetz entsprechend dem Bundeskriminalamt die gesetzlichen Instrumente für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus übertragen. Das ist die Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers. Deswegen bleibe ich dabei, dass es nicht angemessen ist - insbesondere für ein früheres Mitglied einer Landesregierung, das also Erfahrung mit der gesetzlichen Grundlage polizeilicher Gefahrenabwehr haben muss -, den Eindruck zu erwecken, als würde hier etwas Neues geschaffen, was irgendwie in Richtung Überwachungsstaat geht. Die Verunsicherung der Bevölkerung - die in Teilen der Bevölkerung Erfolgt hat, das ist wahr, sonst bräuchten wir ja nicht darüber zu reden, die aber nicht angemessen ist - muss aufhören! Dafür werbe ich. Ich sage das entspannt, aber mit Entschiedenheit; es geht schließlich um wichtige Dinge. Es ist unsere gemeinsame Verpflichtung und Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die rechtsstaatlich verbürgte Ordnung unseres Grundgesetzes die Polizei in die Lage versetzt, das notwendige Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Wenn es für die Einhaltung von Gesetzen keine gesamtstaatliche Organisation gibt, sind ausschließlich die Länder zuständig. Jetzt haben wir in einem schmalen Bereich eine ergänzende Zuständigkeit des Bundeskriminalamts. Wenn wir die nicht hätten, würde unsere Verfassung weniger geschützt werden. Darum geht es, und das muss man mit der notwendigen Sorgfalt machen. Was das Zeugnisverweigerungsrecht bestimmter Berufsgeheimnisträger angeht, nehmen wir bei unserer Gesetzgebung ausdrücklich Bezug auf die Regelungen des § 53 der Strafprozessordnung, insbesondere auf die Rechtsprechung zu § 53 Strafprozessordnung. Insofern schaffen wir auch hier nichts Neues, sondern knüpfen an das an, was sich über Jahrzehnte bewährt hat und jahrzehntelang von niemandem in den Dunstkreis gerückt worden ist, als wäre dies ein Staat, der nicht die Freiheit seiner Bürger schützt.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Stadler.
Dr. Max Stadler (FDP): Herr Minister, ich bitte um Verständnis, dass wir von der Opposition genau nachfragen. Es geht bei diesem Gesetzentwurf ja nicht um den Bereich der Strafverfolgung, wo man einen klaren Anknüpfungspunkt hat, nämlich die begangene Straftat, die es aufzuklären gilt, sondern es geht um den Bereich der Gefahrenabwehr. Das ist ein viel weiter gefasster Begriff, sodass die Gefahr, dass Eingriffe uferlos erfolgen, sehr wohl gegeben ist. Es ist gerade die Aufgabe des Gesetzgebers, die notwendigen Eingrenzungen vorzunehmen, wie beispielsweise im bayerischen Polizeiaufgabengesetz in Art. 11 geschehen. Die dortige Grundnorm bezieht sich auf konkret bestehende Gefahren. In § 4 a Ihres Entwurfes zur Änderung des BKA-Gesetzes ist das nicht der Fall, da reichen abstrakte Gefahren aus. Daher müssen wir im Hinblick auf die einzelnen Maßnahmen genau nachfragen. Ich möchte in Bezug auf das sogenannte Richterband nachfragen. Das Bundesverfassungsgericht hat bekanntlich herausgearbeitet, dass es einen Kernbereich der privaten Lebensführung gibt, der sich staatlicher Überwachung entzieht. Das ist die Grundposition, von der aus man das Problem angehen muss. Nun ist es bei der Onlinedurchsuchung manchmal schwierig, von vornherein zu wissen, ob die Daten, die man gerade ermittelt, dem Kernbereich der privaten Lebensführung zuzurechnen sind, sodass ihre Ermittlung unzulässig ist. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht bei der Onlinedurchsuchung einen zweistufigen Schutz des Kernbereiches der privaten Lebensführung zugelassen: dass in einer zweiten Stufe aussortiert wird, was den Staat nichts angeht und unbedingt privat bleiben muss. Wenn wir Ihren Entwurf richtig verstehen - ich bitte Sie, mir zu bestätigen, ob das so ist -, wollen Sie nun diesen zweistufigen Schutz des Kernbereichs, der eben schwächer ist, als wenn man von vornherein gar nicht erst in die Privatsphäre eindringen darf, auch auf den sogenannten großen und den sogenannten kleinen Lauschangriff übertragen. Meine Frage lautet daher: Sind Sie mit uns der Meinung, dass sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Onlinedurchsuchung gerade nicht ergibt, dass die Zweistufigkeit und damit schwächere Form des Schutzes der Privatsphäre plötzlich auch hinsichtlich anderer Maßnahmen gelten soll?
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: Herr Kollege Stadler, zunächst einmal ist es richtig, es gibt einen Unterschied zwischen Prävention und Repression. Ich habe einleitend darauf hingewiesen und das Bundesverfassungsgericht hat dies in seinem Urteil zu dem Verfassungsschutzgesetz von Nordrhein-Westfalen auch bestätigt - dieses Gesetz, das von vornherein auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gestoßen ist, die das Bundesverfassungsgericht auch so judiziert hat, was nicht überraschend war, hat übrigens ein Parteifreund von Ihnen verantwortet -, dass nach Art. 13 Grundgesetz nicht nur zur Verfolgung von Straftaten, sondern auch zur Verhinderung der Realisierung schwerer Gefahren, also zur Gefahrenabwehr, unter engen Voraussetzungen möglicherweise weitergehende Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche erlaubt werden können. Die Verhinderung des Schadens ist nämlich noch wichtiger als die strafrechtliche Ahndung des eingetretenen Schadens. Das ist die Systematik, die hinter Art. 13 Abs. 4 des Grundgesetzes steht. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht noch einmal hingewiesen. Deswegen haben wir das in dem Gesetzentwurf für das BKA-Gesetz auch so umgesetzt. Zu Ihrer Frage hinsichtlich der Zweistufigkeit komme ich gleich anschließend. Zur Abwehr von Gefahren durch den internationalen Terrorismus haben wir - nach einem intensiven Diskussionsprozess mit den Ländern - in § 4 a die Zusammenarbeit mit den Ländern verankert. Diese Zusammenarbeit wollen wir ja nicht irgendwie belasten, sondern weiterhin so intensiv und fruchtbar halten, wie sie bisher Gott sei Dank gewesen ist. Ich bin ja jemand, der die föderale Sicherheitsarchitektur immer mit großem Nachdruck und großer Überzeugung verteidigt. Aber natürlich sind die konkrete und abstrakte Gefahr durch den internationalen Terrorismus ein Stück anders als bei anderen Straftaten. Das liegt nun einmal in dem Netzwerk begründet, mit dem uns der islamistische Terrorismus bedroht. In den letzten Monaten mussten wir im Netz beispielsweise Videobotschaften mit deutschen Untertiteln aus dem al-Qaida-Netzwerk zur Kenntnis nehmen. Darin wurden in einer wirklich sehr konkreten Weise schwere Gefahren angedroht. Diesen Netzwerkcharakter des internationalen Terrorismus haben wir auch bei den Ermittlungen im Sauerland festgestellt, und wir haben den Erfahrungsbericht der EG Zeit auch hinsichtlich dieses Punktes intensiv ausgewertet. Die Innenminister von Bund und Ländern, die Fachleute der Polizeien und auch der Verfassungsschutz von Bund und Ländern haben sich mit all den Erfahrungen beschäftigt, die in diesem umfangreichen Verfahren gemacht wurden. Dem können wir nach unserer Überzeugung nicht anders als durch die Formulierung entsprechen, die wir hinsichtlich der Aufgaben der Gefahrenabwehr in § 4 a verwendet haben. Darin besteht übrigens Übereinstimmung mit den Ländern. Insofern glaube ich auch nicht, dass es einen Widerspruch zum Bayerischen Polizeigesetz gibt. Ich befinde mich jedenfalls auch mit dem bayerischen Kollegen Herrmann in großer Übereinstimmung.
(Gisela Piltz [FDP]: Sie bestimmt, wir nicht!)
- Ihr Kollege hat gerade auf das Bayerische Polizeigesetz Bezug genommen. Ich kann nur unterstreichen, dass das ein sehr gutes Gesetz ist. Sie haben mir gesagt, ich solle Sie loben und Ihnen zustimmen. Jetzt habe ich es getan, aber das ist Ihnen auch wieder nicht recht. Was soll ich denn noch machen? Jetzt zur Zweistufigkeit. Herr Kollege Stadler, bei der Telekommunikationsüberwachung haben wir die Regelung, die das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil über das nordrhein-westfälische Gesetz ausdrücklich bestätigt hat: Wenn der Kernbereich berührt sein kann, dann muss bei einer Maßnahme, bei der nicht nur technisch aufgezeichnet wird, sondern auch jemand mithört, das Mithören eingestellt werden. Es darf nur noch technisch aufgezeichnet werden. Das technisch Aufgezeichnete muss dem anordnenden unabhängigen Richter vorgelegt werden, der dann entscheidet, ob das kernbereichsrelevant ist.
Dann ist das unter Aufsicht und Protokollierung zu vernichten oder auch nicht. Dies ist ausschließlich Sache des Gerichts. Das haben wir nicht verändert; so steht es im Gesetzentwurf. Bei der Onlinedurchsuchung haben wir nun von vornherein nicht die Situation, dass möglicherweise ein Band läuft und jemand mithört; sie läuft nur technisch ab. Deswegen wird das gesamte Material zunächst einmal durch zwei Mitarbeiter des Bundeskriminalamts gesichtet, von denen mindestens einer die Befähigung zum Richteramt haben muss. Wenn bei der Telekommunikationsüberwachung die Situation eintritt, dass derjenige, der mithört, das Gehörte für kernbereichsrelevant hält und sagt, er dürfe nun nicht mehr mithören, dann läuft nur noch das Band, und dieses Material muss dem anordnenden Richter vorgelegt werden. Insofern haben wir genau dasselbe System: Sobald es kernbereichsrelevant sein kann, muss der Richter, der die Maßnahme anordnen kann, darüber entscheiden, ob es zu vernichten ist oder nicht. Insofern haben Sie, glaube ich, den Gesetzentwurf richtig verstanden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich habe noch Fragewünsche der Kollegin Pau, des Kollegen Montag und der Kollegin Jelpke, die wir nur dann berücksichtigen können, wenn sowohl die Fragen als auch die Antworten etwas konzentrierter ausfallen, was sich übrigens selbst bei Würdigung der komplizierten Materie mit Blick auf die Richtlinien unserer Fragestunde ohnehin empfiehlt.
(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Konzentrierter heißt kürzer, nicht?)
Frau Kollegin Pau. Petra Pau (DIE LINKE): Herr Minister, ich habe zwei Fragen zu den personellen Konsequenzen, die sich aus der Umsetzung des Gesetzes ergäben, wenn es denn so beschlossen würde: Erstens. Anfang des Jahres wurde berichtet, dass das BKA 500 neue Stellen hauptsächlich aus dem Bereich der Bundespolizei erhalten werde. Trifft diese Meldung zu, und, wenn ja, inwieweit ist dies im Gesetz abgebildet, und welche Aufgabenbereiche sollen dadurch übernommen werden? Zweitens. Wie soll das BKA die Vorfeldermittlungen im Bereich des internationalen Terrorismus personell bewältigen? Das heißt, wie viele Beamtinnen und Beamte mit welchen Kompetenzen werden benötigt, aus welchen Bereichen sollen sie kommen, und wo sollen sie, wenn man dies heute schon sagen kann, angesiedelt werden? Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: Das ist heute nicht zu sagen, weil wir jetzt den Gesetzentwurf im Kabinett beschlossen haben und ihn den parlamentarischen Körperschaften übergeben, die ihn nach den Regeln unseres Grundgesetzes beraten werden. Wenn das Gesetz eines Tages beschlossen, verkündet und in Kraft getreten sein sollte, wird der Haushaltsgesetzgeber daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Montag.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Herr Präsident. - Herr Minister, ich habe mich gemeldet, weil ich im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage meines Kollegen Wieland die Überheblichkeit, mit der Sie dargestellt haben, der beste Jurist hier im Hause zu sein, nicht unwidersprochen lassen wollte.
(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ist er ja!)
Die Zeiten sind vorbei, Herr Minister, in denen wir so mit uns umgehen lassen. Gehen Sie in dieser Frage nicht den Weg Ihres Vorgängers; wohin dies führt, können wir an Ihnen gerade feststellen. Sie haben die Frage meines Kollegen Wieland nicht beantwortet, weshalb ich sie wiederhole. Es geht darum, ob es in den Jahren seit dem 11. September 2001 Vorfälle in Deutschland gegeben hat, die im Rahmen der Prävention nicht gelöst werden konnten, weil die neuen Zuständigkeiten des Bundeskriminalamtes nicht bestanden. Als eigene Fragen schließe ich an: Im Hinblick auf die Onlinedurchsuchung haben Sie sich jetzt darauf verständigt, nicht den bayerischen Weg zu gehen, obwohl er ja, wie Sie sagen, angeblich so wunderbar ist, und nicht in Wohnungen einzudringen, sondern diese Durchsuchung mittels technischer Möglichkeiten durchzuführen. An welche technischen Möglichkeiten denken Sie und Ihr Haus sowie das Bundeskriminalamt? Außerdem sagten Sie, Sie hätten sich an die bewährten Eingriffsbefugnisse der Landespolizeien gehalten. Nun regeln Sie hier die präventive Funktion der Polizei bei grenzüberschreitendem internationalen Terrorismus. Wozu braucht das Bundeskriminalamt hierbei den Platzverweis?
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: Herr Kollege Montag, erstens habe ich keine Bemerkungen über die juristische Qualifikation von Mitgliedern dieses Hauses gemacht. Insofern müssen Sie irgendetwas falsch verstanden haben. Zweitens. Meinen Vorgänger habe ich im politischen Raum zum ersten Mal als Fraktionsvorsitzenden der Fraktion Die Grünen erlebt, als er den Parlamentarischen Geschäftsführer Fischer bei den Parlamentarischen Geschäftsführern der anderen Fraktionen eingeführt hat. Er ist dann später zur SPD gegangen. Sie brauchen keine Sorge zu haben: Ich habe meine Laufbahn nicht bei den Grünen angefangen und werde sie nicht bei der SPD beenden.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU -
Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke! Das ist wenigstens eine Aussage!
- Dr. Michael Bürsch [SPD]: Die SPD hat Aufnahmekriterien! Wir nehmen nicht jeden!)
Insofern können Sie völlig entspannt bleiben, was mich anbetrifft.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Das bringt eine erhebliche Beruhigung in die Debatte. Es wäre schön, wenn die Aufmerksamkeit für die Ausführungen des Ministers wiederhergestellt würde.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: Herr Präsident, ich versuche, die Fragen zu beantworten, soweit es mir nach den Richtlinien für die Befragung der Bundesregierung möglich ist. - Deswegen will ich nochmal sagen: Der Verfassungsgesetzgeber hat die Entscheidung, dem Bundeskriminalamt eine Gefahrenabwehrbefugnis zu übertragen, nach meiner sicheren Überzeugung nach sorgfältiger Erwägung getroffen. Jedenfalls hat sie Eingang ins Grundgesetz gefunden. Wie alle Bestimmungen des Grundgesetzes ist auch diese verbindlich. Sie bindet Gesetzgeber und Regierung, und wir versuchen, sie umzusetzen. In der Tat ist es wahr, dass wir Glück gehabt haben. Wir haben bisher auch ohne diese Regelung Anschläge vermeiden können. Bei den Kofferbomben hatten wir Glück, dass sie nicht funktioniert haben. Im Sauerland-Fall haben wir unsere Aufgabe mit der EG Zeit in einer ungeheuer aufwändigen Aktion in einem sehr bewährten Verfahren der Kooperation bewältigt. Allerdings - das muss man gleich hinzufügen, auch wenn Sie nicht danach gefragt haben - wäre das ohne die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten überhaupt nicht möglich gewesen. Drittens. Die Bundesanwaltschaft ist in solchen Verfahren immer relativ früh gebeten worden, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren durchzuführen, damit das Bundeskriminalamt eingeschaltet werden kann.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben! Jetzt machen wir das nicht mehr!) - Das war nicht meine Entscheidung. Ich habe damit nichts zu tun. Herr Kollege Wieland, ich versuche gerade, die Frage des Kollegen Montag zu beantworten. Wir kommen damit zu einem Bereich, den wir auch in einem anderen Zusammenhang diskutieren. Um die Gefahrenabwehr leisten zu können - um mögliche Sprengstoffanschläge verhindern zu können, wurden Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung eingeleitet -, ist es möglicherweise richtig, unter den engen Vorgaben unseres Grundgesetzes entsprechende Regelungen der polizeilichen Gefahrenabwehr zu schaffen. Vielleicht war das ein Grund für den Verfassungsgesetzgeber, Art. 73 des Grundgesetzes um die Ziffer 9 a zu erweitern.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Jelpke.
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Minister, im Vorfeld des BKA-Gesetzes gab es heftige Differenzen in der Koalition, aber auch zwischen den Ländern. Wie ist nach dem Kabinettsbeschluss der Stand der Dinge, was diese Differenzen angeht, und in welchen Fragen bestehen sie noch? Nach dem Beitrag des Kollegen Edathy im Frühstücksfernsehen zum Beispiel hat man den Eindruck, dass der Gesetzentwurf von der Koalition nicht einheitlich getragen wird.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: Frau Kollegin, wir befinden uns in der Regierungsbefragung. Ich berichte über die Kabinettssitzung. Darin haben wir den Gesetzentwurf, den wir intensiv erarbeitet und einvernehmlich vorbereitet haben, auch einvernehmlich beraten und beschlossen. Es gibt nicht die geringste Differenz unter den Mitgliedern der Bundesregierung.
(Zuruf der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])
Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich bitte um Nachsicht. In der Regierungsbefragung geht es um die Berichterstattung aus der Kabinettssitzung. Es ist eine Frage gestellt worden, die beantwortet wurde. Wie immer ist die Beurteilung, ob man mit diesen Antworten jeweils einverstanden ist, dem subjektiven Ermessen aller Beteiligten überlassen. Das ist nicht weiter zu kommentieren. Es gibt aber den Wunsch nach einer Frage an die Bundesregierung außerhalb des Themenbereichs, über den gerade berichtet worden ist. Das sollten wir im Rahmen der wenigen noch verfügbaren Sekunden der dafür vorgesehenen Zeit noch ermöglichen. Ich erteile dafür dem Kollegen Rohde das Wort.
Jörg Rohde (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich frage die Bundesregierung: War in der Kabinettssitzung heute das Filmförderungsgesetz ein Thema? War auch die Möglichkeit, blinde und sehbehinderte Menschen mit einzubeziehen, Teil der Beratungen? Immerhin werden dafür Steuermittel ausgegeben. In den vorhandenen Richtlinien sind keinerlei Hinweise zu finden, ob Audiodeskription, also Hörfilme, besondere Berücksichtigung finden. Wäre die Bundesregierung gegenüber Vorschlägen offen, zum Beispiel einen deutschen Filmpreis für eine herausragende Einzelleistung "Beste Audiodeskription" zu vergeben oder im Rahmen der bereitgestellten Mittel einen Teil des Budgets für die Audiodeskription zur Verfügung zu stellen und bei größeren Produktionen eine verpflichtende Vorschrift und bei kleineren Produktion eine Kannvorschrift zu erlassen?
Präsident Dr. Norbert Lammert: Verehrter Herr Kollege Rohde, da es zunächst um die Klärung der Frage geht, ob es überhaupt Gegenstand der Kabinettsberatungen war,
(Jörg Rohde [FDP]: Aber natürlich!)
erübrigt sich, glaube ich, im Augenblick die Spezifizierung, was alles Gegenstand einer zusätzlichen Preisverleihung sein könnte.
(Jörg Rohde [FDP]: Dann begnüge ich mich erst einmal mit der Antwort auf diese Frage!)
Frau Staatsministerin.
Hildegard Müller, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege, in der Tat war das Filmförderungsgesetz Gegenstand der heutigen Kabinettsberatungen. Wir sind einen entscheidenden Schritt bei der Unterstützung des deutschen Films nach vorne gekommen, der gerade in den letzten Jahren im internationalen Bereich enorm an Renommee gewonnen hat. Zu der spezifischen Frage, ob solche Förderpreise ausgelobt werden sollen, rege ich an, ein Gespräch mit dem Staatsminister für Kultur und Medien zu führen. Dann könnte ich Ihnen konkret antworten. Vielleicht nennen Sie uns noch Förderpreiskriterien. Dann kann ich auch darauf eingehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Wie zugesagt, beende ich damit den Tagesordnungspunkt 1, Befragung der Bundesregierung. Die Fraktionen sind übereingekommen, heute eine vereinbarte Debatte über das Thema "Bespitzelungsaffäre bei der Deutschen Telekom und Konsequenzen" durchzuführen. - Dazu stelle ich Einvernehmen fest.