Volkszählung
In 2011 wird es nicht nur in Deutschland, sondern europaweit eine Volkszählung geben.
Was und wofür ist die Volkszählung?
Der Begriff Volkszählung (oft auch als „Zensus“ bezeichnet) ist dahingehend irreführend, dass nicht einfach das Volk gezählt wird, also die Anzahl der Einwohner bestimmt wird. Vielmehr ist es überwiegend die Regel, dass durch Volkszählungen Menschen verpflichtet werden, eine Vielzahl persönlicher Daten anzugeben.
Eine Volkszählung wird durchgeführt, um möglichst genaue Informationen über verschiedenste statistische Parameter zu erhalten, die als Grundlage für das politische und verwaltungsmäßige Handeln genutzt werden sollen.
Die letzte Volkszählungen in Deutschland wurden vor der Wiedervereinigung durchgeführt, in der Bundesrepublik Deutschland 1987 und in der Deutschen Demokratischen Republik zuletzt in 1981.
Rückblick auf die letzte Volkszählung 1987
Die letzte Volkszählung war in der Bundesrepublik zunächst für 1981 geplant und wurde aufgrund von Streitigkeiten über die Finanzierung auf 1983 verschoben.
Die Art der Fragen und der Umfang der Zählung riefen dann allerdings heftige Bürgerproteste hervor und das Bundesverfassungsgericht befand in dem so genannten Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983, dass die Volkszählung deswegen rechtswidrig sei, weil die Beantwortung der Fragen Rückschlüsse auf die Identität der Bürger zulassen würde und damit den Datenschutz unterlaufe und gegen das Grundgesetz verstoße.
Das Bundesverfassungsgericht schuf mit diesem Urteil das ausdrückliche Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.
Die Volkszählung wurde auf 1987 verschoben und dann mit Unterstützung einer aufwendigen Akzeptanz-kampagne durchgeführt. Trotzdem gab es erneut Boykottaufrufe.
Die Durchführung des Zensus geriet zu einem publizistischen Wettstreit um den jeweiligen Erfolg. Während Bundesinnenminister Zimmermann das Scheitern des Boykotts verkündete, präsentierten „alternative Sammelstellen“ im Herbst 1987 1,1 Mio. unausgefüllte Erhebungsbögen. In Hamburg wurde der Chef des Statistischen Landesamtes im März 1988 abgelöst, weil er zunächst die Probleme mit der Volkszählung heruntergespielt hatte, dann öffentlich bekennen musste, dass 248.000 Fragebögen, etwa 13 % fehlten. In Wiesbaden bestätigte der Erhebungs-stellenleiter noch im September 1987 über 15 % fehlende Antworten, weitere 10 % der Bürger hätten überhaupt noch keinen Erhebungsbogen bekommen.
Stand der Dinge zur nächsten Volkszählung
Der Bundestag hat ein neues Zensusvorbereitungs-gesetz beschlossen, das am 13. Dezember 2008 in Kraft getreten ist. Dieses Gesetz regelt, dass beim Statistischen Bundesamt ein Anschriften- und Gebäude-register aufgebaut wird, das zur Steuerung der Volks-zählung dienen soll.
Die Kosten der Volkszählung werden mit 528 Millionen Euro prognostiziert.
Am 24. April 2009 hat der Bundestag den Entwurf der Bundesregierung zur Durchführung der Volkszählung mit dem Stimmen der Großen Koalition beschlossen. Erstmals wird bei dieser Volkszählung nur etwa ein Drittel der Bevölkerung befragt. Dabei handelt es sich zum einen um Teilnehmer einer Stichprobe von etwa 10% der Bürger und zum anderen um alle Eigentümer von Gebäuden und Wohnungen.
Diese „Stichprobe“ soll im Zusammenhang mit der Nutzung weiterer Daten aus Melderegistern und Daten der Bundesanstalt für Arbeit ausreichend sein, um eine wissenschaftliche „Hochrechnung“ auf die gesamte Bevölkerung Deutschlands zu ermöglichen.
Für alle angeschriebenen Bürger gilt im allgemeinen eine Auskunftspflicht.
Erhoben werden demografische Daten wie Alter und Geschlecht, Erwerbsstatus und Bildungsabschluss, Haushaltsgröße und Familientyp, Angaben zu Gebäude und Wohnung, Arbeitsort und Schulabschluss.
Angaben zu Sexualleben (!), Höhe der Monatsmiete, Computerkenntnisse, Lese- und Schreibekompetenz, Aufenthaltsorte oder Beziehungen zwischen Haushalts-mitgliedern (!) werden entgegen vorherigen Entwürfen der EU-Verordnung NICHT abgefragt.
Der so genannte Zensusstichtag wird voraussichtlich im Mai 2011 liegen und gilt für alle EU-Länder.
Kritik
Zunächst einmal stimmt bedenklich, dass die EU „um ein Haar“ eine EU-Rahmen-Verordnung beschlossen hat, die die Frage des Schutzes sensibler persönlicher Daten vollkommen ignoriert hätte.
Anders, als ursprünglich geplant und als von der EU verlangt, werden in Deutschland nun auch Religions-zugehörigkeit und Migrationshintergrund abgefragt.
Die innenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Gisela Piltz, warnte davor, die anstehenden Debatten "zu einem Wunschkonzert zu machen". Die Abgeordneten dürften nicht den Fehler machen, "dass wir am Ende mit einem Bauchladen an neuen Merkmalen und Registern herauskommen". "Erhebliche Bedenken" meldete die Liberale zudem gemeinsam mit dem Bundesrat gegen die Vorgabe an, dass alle Daten beim Statistischen Bundesamt ausgewertet werden sollen. Hierzu müsse ein höchst komplexes IT-System aufgebaut werden. Wenn nicht sichergestellt sei, dass in allen Bundesländern die Erfassung einheitlich erfolge, führe das zu vielfach "nicht gerichtsfesten Zahlen".
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar konnte zwar noch erreichen, dass die adressscharfe Zuordnung der Zensusdaten mit Hilfe der im Anschriften- und Gebäuderegister enthaltenen kleinräumigen geografischen Koordinaten unterbleibt. Datenschutzrechtlich problematisch bleibe jedoch weiterhin die vorgesehene Datenerhebung in sogenannten "sensiblen Sonderbereichen" wie zum Beispiel in Krankenhäusern und in Haftanstalten, wo anders als bei der Volkszählung von 1987 die Daten personenbezogen erfasst werden sollen - und dies, "obwohl das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil empfohlen hatte, in Bereichen, in denen die Gefahr einer sozialen Abstempelung besteht, die Erhebung möglichst in anonymisierter Form durchzuführen".
Wir sehen insbesondere eine große Gefahr in der Zusammenführung umfangreichster Daten. Auf dem Beiblatt haben wir einmal festgehalten, um welche Daten es sich dabei im Gesamten handelt.
Wir sehen die Gefahr, dass diese sensiblen und durch die Volkszählung zusammengeführten Daten nicht dauerhaft sicher sind vor Hacker-Angriffen, Diebstahl, Missbrauch und Datenverarbeitungsfehlern.
Übersicht aller zur Volkszählung 2011 erfassten und zusammengeführten Daten
Zusammenführung der Daten von Meldebehörden
Ordnungsnummer im Melderegister, Familienname, frühere Namen und Vornamen, Straße, Straßenschlüssel, Hausnummer und Anschriftenzusätze, Wohnort, Postleitzahl und amtlicher Gemeindeschlüssel, Tag der Geburt, Standesamt und Nummer des Geburtseintrags, Geburtsort einschließlich erläuternder Zugehörigkeitsbezeichnungen, bei im Ausland Geborenen: Geburtsstaat, Geschlecht, Staatsangehörigkeiten, Familienstand, Wohnungsstatus (alleinige Wohnung, Haupt- oder Nebenwohnung), Anschrift und Wohnungsstatus in der Gemeinde, aus der die Person zugezogen ist, Anschrift der zuletzt bewohnten Wohnung in der Gemeinde, Tag des Beziehens der Wohnung, Tag des Zuzugs in die Gemeinde, Herkunftsstaat bei Zuzug aus dem Ausland, Tag der Anmeldung bei der Meldebehörde, Tag des Wohnungsstatuswechsels, Familienname, frühere Namen, Vornamen, Tag der Geburt und Ordnungsnummer des Ehegatten oder des eingetragenen Lebenspartners oder der eingetragenen Lebenspartnerin, Familienname, frühere Namen, Vornamen, Tag der Geburt und Ordnungsnummer der minderjährigen Kinder sowie Familienname, Vornamen, Tag der Geburt, Schlüssel und Ordnungsnummer der gesetzlichen Vertreter, Tag der letzten Eheschließung oder Begründung der letzten eingetragenen Lebenspartnerschaft, Tag der Auflösung der letzten Ehe oder letzten eingetragenen Lebenspartnerschaft, Anschrift des Wohnungsgebers, Information über freiwillige Anmeldung im Melderegister, Übermittlungssperre nebst Grund der Übermittlungssperre, rechtliche Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft.
Zusammenführung der Daten der Bundesagentur für Arbeit
Für jede sozialversicherungspflichtig beschäftigte Person sowie für jede geringfügig entlohnt beschäftigte Person bis spätestens sieben Monate nach dem Berichtszeitpunkt: Arbeitsort (amtlicher Gemeindeschlüssel), Wirtschaftszweig, Betriebsnummer der Arbeitsstätte, Ausbildung, ausgeübter Beruf, Status der Beschäftigten (beschäftigt oder geringfügig beschäftigt). Für jede als arbeitslos oder Arbeit suchend gemeldete oder nicht zu aktivierende Person bis spätestens drei Monate nach dem Berichtszeitpunkt als Erhebungsmerkmale: Status (arbeitslos, nicht arbeitslos aber Arbeit suchend, nicht zu aktivieren), höchster erreichter Schulabschluss, letzte abgeschlossene Berufsausbildung. Für jede Person, die als Teilnehmer oder Teilnehmerin an Maßnahmen der Arbeitsförderung geführt wird, bis spätestens drei Monate nach dem Berichtszeitpunkt als Erhebungsmerkmale: Art der Maßnahme (soweit von Bedeutung für die Erfassung der Erwerbstätigkeit), höchster erreichter Schulabschluss, letzte abgeschlossene Berufsausbildung. Für jede in den Nummern 1 bis 3 genannte Person als Hilfsmerkmale innerhalb der in den Nummern 1 bis 3 für die jeweilige Personengruppe genannten Fristen: Wohnort, Postleitzahl und amtlicher Gemeindeschlüssel, Straße, Hausnummer und Anschriftenzusätze, Familienname und Vornamen, Geschlecht, Tag der Geburt.
Zusammenführung der Daen von Bundes- und Landesbehörden bei Angestellten und Beamten
Als Erhebungsmerkmale: amtlicher Gemeindeschlüssel des Arbeitsorts, die für Datenübermittlungen an die Bundesagentur für Arbeit vergebene Betriebsnummer oder den Wirtschaftszweig der Betriebsstätte, staatlicher Aufgabenbereich, kommunaler Aufgabenbereich oder Produktnummer der kommunalen Haushaltssystematik, Name oder Bezeichnung der Erhebungseinheit. Als Hilfsmerkmale: Wohnort, Postleitzahl und amtlicher Gemeindeschlüssel, Straße, Hausnummer und Anschriftenzusätze, Familienname und Vornamen, Tag der Geburt, Geschlecht, Umfang des Dienst- oder Dienstordnungsverhältnisses, Berichts- oder Dienststellennummer.
Befragung von Wohnungs- und Gebäudeeigentümern durch die statistischen Ämter der Bundesländer
Für Gebäude: Gemeinde, Postleitzahl und amtlicher Gemeindeschlüssel, Art des Gebäudes, Eigentumsverhältnisse, Gebäudetyp, Baujahr, Heizungsart, Zahl der Wohnungen. Für Wohnungen: Art der Nutzung, Eigentumsverhältnisse, Wohnung nicht meldepflichtiger Personen, soweit bekannt, Fläche der Wohnung, WC, Badewanne oder Dusche, Zahl der Räume. Hilfsmerkmale: Familienname, frühere Namen, Vornamen und Anschrift der Auskunftspflichtigen, Telekommunikationsnummern der Auskunftspflichtigen oder einer anderen Person, die für Rückfragen zur Verfügung steht, Namen und Vornamen von bis zu zwei Wohnungsnutzern je Wohnung, soweit bekannt: Zahl der Bewohner je Wohnung, Straße, Hausnummer und Anschriftenzusätze der Wohnung.
Stichprobenartige Befragung von Bürgern durch die statistischen Ämter der Bundesländer
üblicher Aufenthaltsort, Geschlecht, Staatsangehörigkeiten, Monat und Jahr der Geburt, Familienstand, nichteheliche Lebensgemeinschaften, (für Personen, die nach dem 31. Dezember 1979 nach Deutschland zugezogen sind:) früherer Wohnsitz im Ausland Zahl der Personen im Haushalt, Erwerbsbeteiligung nach den Standards des Arbeitskräftekonzepts der Internationalen Arbeitsorganisation oder im Falle der Nichterwerbstätigkeit entsprechende Angaben zu der letzten ausgeübten Tätigkeit und für Nichterwerbspersonen sowie für alle Personen im Alter unter 15 Jahren zu ihrem überwiegenden Status in der Woche des Berichtszeitpunkts, Stellung im Beruf, ausgeübter Beruf, Wirtschaftszweig des Betriebes, Anschrift des Betriebes (nur Gemeinde), Haupterwerbsstatus, höchster allgemeiner Schulabschluss, höchster beruflicher Bildungsabschluss, aktueller Schulbesuch, rechtliche Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft, Bekenntnis zu einer Religion, Glaubensrichtung oder Weltanschauung (sunnitischer Islam, schiitischer Islam, alevitischer Islam, Buddhismus, Hinduismus und sonstige Religionen, Glaubensrichtungen oder Weltanschauungen), Familienname und Vornamen, Anschrift und Lage der Wohnung im Gebäude, Tag der Geburt (Tag ohne Monats- und Jahresangabe), Telekommunikationsnummern der Auskunftspflichtigen oder einer anderen für Rückfragen zur Verfügung stehenden Person, für Erwerbspersonen der überwiegende Status (Haupterwerbsstatus) in der Woche des Berichtszeitpunkts.
(Entnommen dem Entwurf des Gesetzes zur Anordnung des Zensus 2011)
Material
- Flyer zum Thema Volkszählung 2011
Linkliste zum Thema
- Datenschützer hat weiterhin Bedenken bei der Volkszählung (heise 25.4.2009)
- Bundestag beschließt Ausweitung der Volkszählung (heise 24.4.2009)
- Religion wird nun doch erfasst (taz 23.4.2009)
- Ausweitung der Volkszählung: "Wunschkonzert" oder notwendige Statistik? (c't 20.3.2009)
- Volkszählung kommt (taz 4.12.2008)
- Kabinett beschließt Volkszählung für 2011 (heise 3.12.2008)
- EU-Parlament entschärft Verordnung zur Volkszählung (heise 20.2.2008)
- Volkszählung kommt (taz 31.1.2008)
- Volkszählung 2011 startet in die operative Phase (heise 30.1.2008)
- EU-Verordnung zur Volkszählung verzögert sich (heise 11.12.2007)
- Weg frei für die Vorbereitung der Volkszählung (heise 29.11.2007)
- EU-Abgeordnete fordern besseren Datenschutz bei der Volkszählung (heise 24.11.2007)
- Vorbereitung der Volkszählung fürs Erste gestoppt (heise 10.11.2007)
- Datenschützer gegen Ausweitung der Volkszählung (heise 16.10.2007)
- Überwachung in kleinen Schritten (taz 7.7.2007)